ausgehen und rumstehen
: Ein Date mit Tav Falco

Freitag war das Wetter noch ekelig, die Leute zerredeten vor den Kneipen die warme Nachtluft mit ihren Hymnen an die Sonne, und ich hatte Faulfieber und schaffte es nur, einen Radius von fünf Fahrradminuten von zu Hause aus abzuklappern. In diesem Radius waren: 1. der Festsaal Kreuzberg (dort hatte man die Holzstühlchen wie zur Tanzstunde an den Wänden aufgereiht und der 100%-Dynamite-Souljazz-DJ spielte einsam seine schönen Lieblingsplatten), 2. der Privat Club (dort fingen die gut gelaunten Abiturienten schon beim Reingehen an zu wackeln, und ich zwang mich mit vorgehaltener Pistole, ein Glas Elbling-Sekt in den gluckernden Bierbauch zu kippen) und 3. meine Lieblingsnachbarschaftskneipe, in der das Budweiser noch DM-Preise hat und über das Schnapsregal seit ungefähr dem Römischen Reich die Zeitungsschlagzeile „Wohnt hier der liebe Gott?“ gepinnt ist.

Samstag hatte die Hitze mich schon nachmittags geschafft, darum lauschte ich abends am offenen Fenster den pustenden Bussen unten auf der Straße. Aber Sonntag, im lang ersehnten Regen, saß ich wieder im Sattel und zappelte aufgeregt wie ein Kommunionskind vor der Geschenkannahme: Tav Falco war in der Stadt! Wie immer mit ein paar armen Idioten, die er am Abend vorher an einem Bierstand kennen gelernt und direkt auf die Bühne gezwungen hat! Toll! Kleine, schwule, gut gekleidete, das graue Haar sorgsam zu übertünchen versuchende Rock’n’Roller haben bei mir immer einen Stein im Brett, zu Little Richard wäre ich auch sofort gegangen, sogar während seiner christlichen Phase.

Zu Tav ging ich natürlich mit meinem Tav-Falco-Freund, der mehr Tav-Falco-Konzerte gesehen hat, als unabhängige Staaten aus der ehemaligen Sowietunion hervorgegangen sind, und der sich an jedes erinnert, samt Begleitband. Ich bin sicher, sagte ich bewundernd zu ihm, als ich ihn so im Knaack-Club in der ersten Reihe stehen sah, dass der Meister dich wiedererkennt. Auch der Rest des Publikums glänzte durch gute Manieren: Als die sympathische, komplett arhythmische Schlagzeugerin schon nach dem zweiten Stück ihr Top auszog und den Rest des Konzerts in Wonderbra und Minirock trommelte, grölte niemand „Ausziehen!“ oder zumindest „Uiuiui!“. Keine Menschenseele. Obwohl das sogar einer von diesen Wonderbras war, bei denen man durch den Zug an einem kleinen Zauberbändchen vorne den Cleavage verstärken kann. Und wir verstehen uns richtig – die Schlagzeugerin war hübsch. Nicht, dass das eine Rolle spielt, normalerweise reicht es dem Großteil der Männer ja bereits, wenn man einfach nur „Busen“ SAGT.

Tav Falco jedenfalls schwitzte kein bisschen, während ich bereits eine Fangopackung auf dem Rücken hatte (Südstaatler eben, sagte mein Expertenfreund). Dafür gestikulierte Tav Falco, der es noch immer geschafft hat, in wirklich jedes seiner wunderbaren Stücke Timingschwankungen und totale Verspieler hineinzufummeln – schlimmer als die Stones, aber hundertmal reizender –, beim Singen wieder mit den Armen wie eine Primaballerina, ließ die gefärbte Tolle über den geschminkten Augenbrauen wippen und tänzelte auf seinen zierlichen Füßchen bei „Throw your mask away“ im Tangoschritt über die Bühne, bis er fast den auf irgendeinem psychoaktiven Downer hängen gebliebenen Bassisten trat. Dass er vor seinem Hit „Dateless night“ darauf hinwies, selber natürlich immer genug Dates zu haben, war allerdings überflüssig. Als ob wir je etwas anderes gedacht hätten!

JENNI ZYLKA