aufgewacht! von JAN ULLRICH
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Doch, so etwas gibt’s: Dass ich morgens aufwache und die Idee für ein Effi-Briest-Musical habe, mit dem Eingangssong „Ist er denn auch der Richtige“, gesungen von Hertha und Bertha Niemeyer. „Der Schritt vom Wege“ als das Duett von Effi und Crampas, Innstettens „Prinzipien sind im Prinzip in Ordnung“ sowie der Schlusschor „Das ist ein weites Feld“ runden das Musical ab. Höhepunkt ist aber die Rolle eines kleinwüchsigen Tenors, der sich auf allen vieren über die Bühne bewegt und die Partie von Rollo, dem Hund, singt.

Aber ich werde nicht immer musikalisch wach: Als ich neulich aufwachte, sah ich aus wie ein Bankbeamter: Ich trug ein Seitenscheitel, lächelte seriös und hatte einen Blick, der um Vertrauen für einen Aktienfonds warb. Außerdem trug ich eine Krawatte, ein Jackett und einen Aktenkoffer. Das Jackett kam mir bekannt vor. Ich hatte es schon mal getragen und zwar als ich eines Morgens plötzlich wie ein Moderator des ZDF-Sportstudios ausgesehen hatte.

Beim Frühstück beobachtete ich mich, wie ich die Wirtschaftsseite der FAZ las und ständig Wörter wie „Diskontsatz“, „Dispositionskredit“, „Rendite“ oder „Substral“ sagte, das letzte Wort allerdings nur, als ich für einen Moment ein Gärtner war und eine grüne Schürze und einen Strohhut trug. Ich habe keine Ahnung, was diese Wörter bedeuten, ich kenne sie auch gar nicht und habe sie vorher nie benutzt. Aber jetzt war ich schließlich Bankbeamter und für einen Moment Gärtner.

Inzwischen habe ich mich um eine Ausbildung als Bankangestellter beworben, obwohl ich außerdem noch als Eisverkäufer und Designer für essbaren Nasenschmuck aufgewacht bin. Nicht zu vergessen der Morgen, als ich mich im hellen Flutlichtschein allein auf dem Rasen des neuen Münchner Stadions befand und als Professor für angewandte Egozentrik laut „Mehr Licht!“ schrie.

Gut, ich gebe zu, manchmal wache ich auf und die Veränderungen sind nicht so einschneidend. Dann steht in der Ecke lediglich ein Hammerklavier, die Wände sind neu gestrichen oder die Heizung wurde durch eine Herde Schafe ersetzt. In solchen Situationen bleibt einem halt nichts anderes übrig, als zum Beispiel die Hälfte des Zimmers umzugraben und Rasen für die Schafe zu pflanzen. Immerhin muss ich nicht frieren, da die Schafherde relativ groß ist.

Schlimmer finde ich es, wenn sich morgens mein Bücherregal mit Kommentaren zur Kulturgeschichte zu Wort meldet: „Das Meer ist ein zentrales Motiv in der Literaturgeschichte. Homer, Melville, Joseph Conrad oder auch Käpt’n Blaubär zeigen: Wer hier die Segel seines Erzählens setzt, der muss, um nicht Schiffbruch zu erleiden, sein Geschichtenschiff sicher manövrieren können. Meine Frage nun aber lautet: Magst du Fisch?“ Ich weiß nicht, warum ich diese ganzen Bücher in mein Regal hineinstopfe. Es hat nicht die geringste Ahnung von Literatur.

Damit ist es für mich genauso enttäuschend wie mein Beistelltischchen, das gerade mal ein politisches Bewusstsein auf dem Niveau des bürgerlichen Realismus entwickelt hat. Von ihm stammt wohl auch die Idee mit dem Effi-Briest-Musical. Vielleicht sollte ich einfach aufhören aufzuwachen. Das führt zu nix.