Wilhelmsburg sendet Blutwurst

KOCHSENDUNG Mit seinen „Konspirativen Küchenkonzerten“ erobert Marco Reyes Loredo die offenen Kanäle. Das Fernsehstudio liegt in einer alten Fabrik in Wilhelmsburg, in der Reyes Loredo auch wohnt

„Wir sind von den Musiksendern enttäuscht gewesen“

Pressesprecherin Kerstin Schaefer

Irgendwo im tiefsten Wilhelmsburg, in einem alten Fabrikgebäude, versteckt sich das Aufnahmestudio der „Konspirativen Küchenkonzerte“. Die alternative Kochsendung überrollt derzeit die offenen Kanäle in ganz Deutschland und Österreich mit kulturellem Untergrund aus Hamburg. Moderator Marco Reyes Loredo lädt in jeder Folge einen Künstler und einen Musiker in seine Küche. Während der Musiker dem Publikum einheizt und der Künstler eine Kunstperformance zum Besten gibt, kocht Reyes Loredo für alle das Leibgericht seiner Gäste.

Eine LKW-Laderampe und ein lärmender Industriefahrstuhl zeugen noch von der ursprünglichen Bestimmung des Ortes. Ansonsten deutet vieles darauf hin, dass es sich bei dem Raum um ein kommerzielles Fernsehstudio handelt: dutzende Scheinwerfer hängen von der Decke, auf dem Boden sind Laufschneisen der Kameramänner eingezeichnet und zwei Bühnen – eine zum Kochen und eine zum Musizieren – bestimmen die Ausrichtung des Raumes. Aber der Schein trügt. „Übermorgen wird das hier wieder alles aussehen wie ein ganz gewöhnliches Wohnzimmer mit Kochecke“, verrät Reyes Loredo.

Vor drei Jahren ist er mit seiner Freundin Kerstin Schaefer von St. Pauli in die alte Farbenfabrik in Wilhelmsburg gezogen. Irgendwann hatten die beiden Studenten die Idee mit der Kochshow. „Danach ging alles ziemlich schnell“, berichtet Reyes Loredo. „Wir trommelten ein paar Freunde zusammen. Die Starkstromleitung im Keller wurde wieder aktiviert. Ein Veranstaltungstechniker, der im Hof gegenüber arbeitete, spendete die Technik, die Kameras kamen von Tide und Backstageeinrichtung von der Wilhelmsburger Möbelhilfe.“

„Himmel, Erde und Blutwurst“, ruft Bernadette La Hengst voller Wonne, als Reyes Loredo von ihr wissen will, was sie sich für heute Abend zu Essen wünscht. Sie trägt ein rotes Kleid mit großen weißen Punkten. Um den Hals hat sie sich eine halbelektrische Gitarre gehängt. Dann schlägt sie die ersten Töne ihres Songs „Liebe ist ein Tauschgeschäft“ an. Das Widerhallen des Refrains übernimmt das Publikum. „Tauschgeschäft, Tauschgeschäft“ raunt es immer wieder durch den Raum.

Aber nicht nur musikalisch geht es um Tauschgeschäfte. Ton Matton, der Künstler, der heute eingeladen ist, hat eine Maschine konstruiert, die das Soundsystem der kleinen Bühne über ein handbetriebenes Rad mit Ökostrom versorgt. Die Zuschauer kurbeln und bekommen dafür Musik. La Hengst spielt und bekommt dafür ihre Blutwürste mit Himmel und Erde. Und Matton bekommt für seine Biostrommaschine einen unterhaltsamen Abend und etwas Publicity im subkulturellen Bereich.

„Wir sind von den deutschen Musiksendern so enttäuscht gewesen, dass wir uns praktisch dazu gezwungen sahen, ein alternatives Forum für Musik im Fernsehen zu schaffen“, sagt Kerstin Schaefer, die die Pressearbeit für die Sendung übernommen hat. „Alle in unseren Team werden von dem Gedanken angetrieben, endlich wieder gute Kunst und Musik ins Fernsehen zu bringen“, meint auch Marco Reyes Loredo.

Dennoch könnte bald Schluss sein mit den konspirativen Küchenkonzerten. Das Projekt steht finanziell auf unsicheren Beinen – damit es weiter existieren kann, muss ein Sponsor gefunden werden. „Tauschgeschäfte sind zwar ein super Ideal. Aber wir würden unseren Team gerne zumindest ein bisschen Bares zurückgeben“, resümiert Reyes Loredo. Sollte die Suche nach einem Sponsor erfolglos verlaufen, könnte die aktuell produzierte Staffel bereits die letzte sein.

JOHANN TISCHEWSKI

Erstausstrahlung der Sendung mit Blutwurst, Bernadette La Hengst und Ton Matton: 7. 11. 2009, 20 Uhr, TIDE TV Hamburg