Keine Entwarnung

VERKEHRSFOLGEN Nur mit abgestimmtem Vorgehen wären Lärm und Gift von Hamburgs Straßen zu verringern, sagen Experten auf einer Fachkonferenz des BUND. Einzelne Maßnahmen blieben Stückwerk

Mit der Volkspetition „Hamburg atmet auf“ will der BUND die Einhaltung der EU-Richtlinie für Luftreinhaltung durchsetzen.

■ Das Ziel: Der schon seit 2010 geltende Grenzwert für Stickstoffdioxid (NO2) soll überall in Hamburg spätestens Ende 2013 eingehalten werden.

■ Die Methode: An allen Hauptstraßen sollen Luftmessstationen zur Überwachung aufgestellt werden.

■ Das Verfahren: Die erforderlichen 10.000 Unterschriften für die Petition glaubt der BUND bald erreicht zu haben. Dann müsste sich die Bürgerschaft mit dem Anliegen befassen. Weitere Schritte wären Volksbegehren und Volksentscheid.

Hamburgs Umweltschützer sollten wohl nicht zu große Hoffnungen auf die EU-Kommission setzen. „In diesem Jahr gibt es ohnehin keine Entscheidung mehr, und wenn sie fällt, ist vollkommen offen, wie sie aussieht“, sagte Hans-Joachim Hummel vom Bundesumweltministerium am Freitag auf einer Fachtagung. Zu der hatte – unter dem Motto „Moderne Verkehrskonzepte – bessere Luft?“ – der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) geladen.

Hamburg hat bei der EU einen Antrag auf Fristverlängerung gestellt, um bereits seit 2010 geltende Grenzwerte für Schadstoffe in der Atemluft weitere fünf Jahre lang ungestraft überschreiten zu dürfen. Wird das abgelehnt, drohen der Stadt Strafzahlungen in Millionenhöhe – mithin „nicht kalkulierbare finanzielle Lasten“, wie vor zwei Monaten die Umweltbehörde in einem internen Memorandum warnte. Der EU-Kommission lägen Hunderte solcher Anträge aus der gesamten Union vor, sagte nun Hummels – „das zieht sich“.

Seit Langem schon kann die Hansestadt die Grenzwerte für Schadstoffe in der Atemluft nicht einhalten, speziell für das hochgiftige Stickstoffdioxid (NO2) ist auf mittlere Sicht keine Entwarnung zu erwarten. An den meisten Verkehrsmessstationen werde der Grenzwert „voraussichtlich erst nach 2020 erreicht sein“, heißt es im Entwurf des Luftreinhalteplans, der Anfang Oktober veröffentlicht wurde.

Etwa drei Viertel der Emissionen sind demnach auf den lokalen Straßenverkehr zurückzuführen. Dennoch werden „verkehrsbeschränkende Instrumente“ – etwa eine Umweltzone oder die City-Maut – abgelehnt: Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hat jedes Hemmnis für den motorisierten Individualverkehr kategorisch ausgeschlossen. Mit einer großen Anfrage wollen indes die Grünen dem Thema Lärmschutz auf den Grund gehen. Dazu gibt es heute Abend eine Expertenanhörung des Umweltausschusses der Bürgerschaft.

Hohe Schadstoffkonzentrationen in der Atemluft seien „ohne Zweifel mitverantwortlich für akute und chronische Gesundheitsschäden“, erläuterte am Freitag der Mediziner Hans Jörg Baumann vom Uni-Klinikum Eppendorf. Mehrere Studien aus der Schweiz, Großbritannien und den USA hätten den Zusammenhang „eindeutig belegt“.

Dennoch wird es wohl keine Lenkungsmaßnahmen für den Autoverkehr geben: Frank Fichert vom Gutachterbüro IVT rechnete auf der Tagung vor, dass eine City-Maut in allen durchkalkulierten Varianten finanziell und umweltpolitisch wenig für die Stadt brächte. Auch anderen Referenten zufolge löst „keine einzelne Maßnahme die Probleme“ – das könne nur ein „Bündel an Maßnahmen“.

Und die stellte Tina Wagner von der Verkehrsbehörde als Eckpunkte der Hamburger Verkehrsentwicklungsplanung vor: den Ausbau der Bahnen U 4, S 4 und der AKN, die Entwicklung des Bussystems, bessere Angebote für Carsharing und Stadtrad sowie eine Förderung des Radverkehrs. „Wir als Amt müssen Verkehr ermöglichen und bewältigen“, stellte Wagner klar. Einen fertigen Verkehrsplan stellte sie für Ende des kommenden Jahres in Aussicht.

Die einen wollten Umweltschutz, die anderen die Beseitigung von Staus, fasste der Verkehrswissenschaftler Carsten Gertz von der TU Harburg zusammen: „Es gibt keinen Konsens über Ziele.“  SMV