Der Spiel-Entscheider

Die Spieler des THW Kiel jubelten nach dem Schlusspfiff, als hätten sie gerade die Deutsche Meisterschaft gewonnen. Dabei hatten sie am Samstagnachmittag lediglich den HSV Hamburg mit 33:30 besiegt – keine Überraschung. Was diesen Sieg für die Kieler so besonders machte, war paradoxerweise ihre eigene schlechte Leistung bis zur 49. Minute. Da lagen die Hamburger noch mit fünf Toren in Führung.

„Das war Freude pur, weil wir anfangs nicht so gespielt haben, wie wir uns das gewünscht haben“, erklärte Kiels Angreifer Filip Jicha den Jubel. „Wir haben die letzten zehn Minuten mit acht Toren Vorsprung gewonnen, das muss man einfach genießen.“ Wenn man wie die Kieler 46 Spiele hintereinander in der Bundesliga nicht verloren hat, braucht es schon einen besonderen Kick, um sich noch richtig zu freuen.

„Auch wir haben Schwächen, aber wir trainieren sehr konzentriert und schlau. So können wir Schwächen verstecken – das ist eine Kieler Stärke“, hat Filip Jicha vor Kurzem dem Handball-Magazin gesagt. Gegen die Hamburger konnten sie ihre Schwächen lange nicht verbergen, auch Jicha nicht. Zwar trug er mit drei frühen Krachern dazu bei, dass den Kielern die ersten zehn Minuten gehörten, trat dann aber vierzig Minuten lang genauso lethargisch auf wie seine Mitspieler. Den Hamburgern dagegen, deren Rückraumschützen Pascal Hens und Marcin Lijewsi erst kurz vor dem Spiel grünes Licht gaben, gelang mit der tobenden Halle im Rücken plötzlich alles.

Erst eine Auszeit von Kiels Trainer Alfred Gislason brachte die Wende. Und die war ein Lehrbeispiel psychologischer Spielführung. Die Zebras erzielten zwei Tore hintereinander und obwohl die Hamburger noch mit drei Toren führten, sah man ihrer Körpersprache an, wie der Zweifel in sie hineinfuhr. Sie meckerten untereinander, kassierten nach Frustfouls Strafen und verloren leichte Bälle im Aufbau.

Auf der anderen Seite strahlten die Kieler – noch klar hinten liegend – bereits Siegesgewissheit aus. Allen voran Filip Jicha, der vor ein paar Tagen noch Bundespräsident Joachim Gauck als „Botschafter für ein vorbildliches deutsch-tschechisches Miteinander“ nach Prag begleitet hatte. Mit überragender körperlicher Präsenz riss er Löcher in die Hamburger Abwehr, erhöhte vorne sein Konto auf acht Treffer und zwang hinten als Abwehr-Frontmann Hens, Lijewski und Michael Kraus zu Fehlern.

Nach den Abgängen von Nikola Karabatić und Kim Andersson ist Jicha, der seit 2007 beim THW spielt, zum absoluten Führungsspieler gereift. Die Gegner der Kieler müssen weiter auf einen schwachen Tag von ihm hoffen, um einen Sieg zu landen. Sonst reichen selbst fünf Tore Vorsprung nicht. RALF LORENZEN