„Warum nicht mal die Möglichkeiten ausloten?“

Daniél Kretschmar über die von der Linken vorgeschlagene Privatisierungsbremse

Das bisschen Haushalt …

Landespolitik kann volle Kassen nutzen

Udo Wolf gab ein bisschen den Historiker, als die fünf Vorsitzenden der drei R2G-Koalitionsfraktionen am Mittwoch den Landeshaushalt für 2018 und 2019 vorstellten. Er erinnerte nämlich daran, wie es vor zehn, fünfzehn Jahren zuging, als das Wowereit-Motto „Sparen, bis es quietscht“ galt – mit Thilo Sarrazin als SPD-Finanzsenator. Da habe sich der Haushalt quasi von allein aufgestellt, sagte Wolf. Weil es eben kaum etwas zu verteilen gab und entsprechend wenig in der Koalition zu diskutieren – höchstens mit denen, die plötzlich keine Zuschüsse oder Zuwendungen mehr bekamen. „Die Kinder schrein, die Eltern fliehn, da hinten kommt der Sarrazin“ war ein typischer Satz jener Jahre.

Glücklicherweise sind diese Zeiten vorbei, als Mitarbeiter im öffentlichen Dienst auf Jahre auf Geld verzichten mussten. Als nur noch im Notfall eingestellt wurde. Als sich Bezirke manchmal nahezu jeden neuen Bleistift vom Senat genehmigen lassen mussten.

Die traurige Wahrheit ist bloß: Dieser Wandel hat vorrangig nicht viel mit Politik zu tun, zumindest nicht mit landespolitischen Entscheidungen. Sondern mit niedrigen Zinsen und bundesweit immer noch höheren Steuereinnahmen als erwartet. Vor allem die Zinsen sind ein zentraler Punkt in einem Bundesland, das immer noch 59 Milliarden Euro Schulden hat. Ein Zinssatz von 5 Prozent wie früher macht davon gleich mal rund 3 Milliarden Euro aus und blockiert eben soviel Geld im Landeshaushalt – jährlich! Nur zum Vergleich: Das auf zehn Jahre angelegte und höchst ambitionierte Schulbau-Großprogramm ist noch nicht mal doppelt so groß.

Landespolitik kann Rahmenbedingungen gestalten, kann für gute Schulen und ausreichend Wohnungen als Ansiedlungsanreiz sorgen. Und kann sich darum kümmern, dass von den gegenwärtig vollen Kassen möglichst viele profitieren und vor allem die, die gar nichts haben: Das Sozialticket für mehr Leute als bisher und das für ärmere Kinder kostenlose Schülerticket, jetzt von Rot-Rot-Grün beschlossen, sind gute Beispiele dafür.

Aber Politik kann leider oft nur hoffen, dass die Phase möglichst lange anhält, in der sie etwas zu verteilen hat – und sich der Haushalt mangels Masse eben nicht von alleine aufstellt.

Stefan Alberti

Der Seiltanz im Osten beginnt

Seilbahn und Gärten der Welt sind wieder offen

So eine Seilbahn ist eine der besten Methoden, Kinder zu bespaßen, wie sich auf der Internationalen Gartenausstellung (IGA) in Marzahn im Sommer zeigte. Waren die Kleinen des Laufens müde oder gelangweilt, setzte man sie einfach in die extra für die Schau gebaute Seilbahn – und ließ sie ein, zwei, vielleicht sogar drei Runden in bis zu 20 Meter Höhe zwischen den beiden Parkeingängen drehen, auch wenn das nicht die Intention der Betreiber war. Die gut zehnminütige Tour hin und zurück kostete ja nichts extra, egal wie oft man fuhr.

Damit ist es seit Freitag vorbei. Oder es geht wieder damit los. Je nachdem, wie man es sieht. Seit 1. Dezember jedenfalls haben die landeseigenen Gärten der Welt nach dem Umbau nach der IGA wieder geöffnet, auch die Bahn ist wieder in Betrieb. Die vielleicht medienwirksamste Attraktion der Schau bleibt den Berlinern für mindestens drei weitere Jahre erhalten.

Weil der zaghafte Versuch, die Seilbahn in das Verbundticket des öffentlichen Nahverkehrs einzubinden, auf kein politisches Interesse gestoßen war, kostet ihre Nutzung nun allerdings extra. Knapp 3 Euro in Kombination mit dem Parkeintritt, als Einzelticket 4 Euro, inklusive Rückfahrt 6,50 Euro. Das ist nicht gerade wenig für ein paar Minuten gondeln, zumal ein Endlostouren ausgeschlossen zu sein scheint. Auch die Bobbahn, die schon zu IGA-Zeiten extra zu bezahlen war, ist teurer geworden. Damit dürfte die während der IGA bereits geführte Diskussion über zu hohe Eintrittspreise erneut beginnen.

Verbunden damit ist der ultimative Test, ob Marzahn als Attraktion für Berliner und Besucher von jenseits der Stadtgrenze funktioniert. Bei der IGA klappte das nur leidlich: Statt der erwarteten 2 Millionen kamen nur 1,6 Millionen Gäste in den sechs Monaten. Begründet wurde das von den Organisatoren mit dem schlechten Sommer. Jetzt zählt diese Ausrede nicht mehr. Bert Schulz

Tafelsilber verhökern? Erst fragen!

Privatisierungsbremse vorgeschlagen

DDR light durch die Hintertür“ nennt Sebastian Czaja, Chef der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, den Vorschlag der Linken-Landesvorsitzenden Katina Schubert. Sie hatte angeregt, in der Berliner Landesverfassung eine „Privatisierungsbremse“ zu installieren. Die eher beiläufig – sicher auch zur Beruhigung parteiinterner KritikerInnen vorgebrachte Idee – war Teil der Debatte auf dem Landesparteitag der Linken am vergangenen Wochenende um geplante privatrechtliche Schulbauträger zur Umgehung der Schuldenbremse. Kern des Vorschlags ist eine verpflichtende Volksabstimmung bei Privatisierungsvorhaben des Landes.

Rot-Rot-Grün hat keine verfassungsändernde Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Und so äußerte Schubert, man könne ja stattdessen über ein Volksbegehren in der Sache „nachdenken“. Die Hürden für ein solches Begehren sind jedoch fast unerreichbar hoch. Die Hälfte aller Wahlberechtigten müssten der Änderung zustimmen und dazu eine Zweidrittelmehrheit aller Abstimmenden stellen. So bleibt die Frage, ob Schuberts Vorschlag wirklich durchdacht oder überhaupt ernst gemeint war.

Die Oppositionsparteien haben offenbar trotzdem Sorge, dass der Wunsch der BerlinerInnen doch recht groß sein könnte, wenigstens dann befragt zu werden, wenn das Tafelsilber der Stadt verhökert werden soll. Denn darum würde es gehen, nicht etwa um das Verbot von Privatisierung, sondern um eine Abstimmungspflicht mit den Betroffenen, den Menschen in der Stadt. Was Czaja nun ausgerechnet an der demokratischen Befragung der Bevölkerung an die DDR erinnert, bleibt sein Geheimnis.

Warum dann aber nicht mal die Möglichkeiten ausloten, die Landesverfassung anzupassen? Wenn die Landesspitze der Linken das nicht zeitnah anstößt, einfach selber anfangen. Einen Koordinierungskreis gründen, der die Frage aus dem Wahlkampf auch an Schuberts Partei zurückspielt: „Wem gehört die Stadt?“ Einen sauberen Textvorschlag entwerfen, der vielleicht sogar einen Zustimmungsvorbehalt erzwingt. Was bedeutet: Ein Privatisierungsvorhaben kann nur dann durchgeführt werden, wenn ein bestimmtes Quorum dafür stimmt.

Die Einholung der für die Durchführung des Begehrens nötigen 50.000 Unterschriften wäre dann der Test, ob es wirklich eine realistische Chance gäbe, die nötigen Mehrheiten zu beschaffen. Nicht zuletzt könnte so der Widerspruch zwischen öffentlicher Daseinsvorsorge und privatem Profitstreben in der Stadt in der Diskussion gehalten werden. Egal also, wie ernst es Katina Schubert mit dem Vorschlag war: Versuch macht klug.

Daniél Kretschmar

Zweifel und Gegen-
zweifel

Prostitution und Flüchtlinge

Es war eine aufsehenerregende Recherche, die das ZDF-Magazin „Frontal 21“ vor einem Monat veröffentlichte: In Flüchtlingsheimen eingesetzte Sicherheitsdienstmitarbeiter sollen Bewohner in die Prostitution vermitteln. Dabei werde die Notsituation der Flüchtlinge ausgenutzt, um sie dazu zu bewegen, für sehr wenig Geld Sex mit Freiern zu haben.

Die Vorwürfe kreisten dabei besonders um ein Heim: die Notunterkunft im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf, eine der größten der Stadt, die eine Zeit lang als Vorzeigeprojekt galt. Der Skandal beschäftigte die Unterkunft in ihren letzten Tagen, in dieser Woche wurde sie geschlossen, die Bewohner auf andere Heime verteilt. Gleichzeitig mehren sich die Zweifel an den ZDF-Recherchen: Ein Geflüchteter und eine Sozialarbeiterin, die im Beitrag vorkommen, sollen mit der Unterkunft nichts zu tun haben.

Sagt der Träger des Heims, der Arbeiter-Samariter-Bund, und sagen die im Heim beschäftigten Sozialarbeiter. Das muss man wissen, um die Zweifel einordnen zu können, denn diese Akteure sind es, die nach dem Beitrag das größte Problem haben: Dort wird suggeriert, es handele sich nicht um Einzelfälle, sondern um ein organisiertes Netzwerk, von dem Heimbetreiber und Mitarbeiter gewusst haben müssten.

Dass diese die Vorwürfe zurückweisen, muss also noch nichts heißen. Genauso wenig wie die Tatsache, dass die Polizei bislang keine Ermittlungsergebnisse bekannt gegeben hat – ein durchaus üblicher Vorgang. Dass die Initiative Moabit Hilft, die die Vorwürfe bestätigt hat, ihre Glaubwürdigkeit Anfang 2016 stark beschädigte, als sie den Tod eines Flüchtlings meldete, der sich später als Erfindung eines Helfers herausstellte, mag sein. Doch auch dem Sprecher des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten Sascha Langenbach, der die Vorwürfe als haltlos bezeichnet, wurde in der Vergangenheit schon vorgeworfen, die Unwahrheit zu sagen.

Dass die „Frontal 21“-Mitarbeiter eine Geschichte konstruiert haben, lässt sich also noch lange nicht belegen. Dass jetzt Zweifel aufkommen, haben sie sich selbst zuzuschreiben: Einerseits lassen sie in ihrem Bericht offen, um welche Unterkunft in Wilmersdorf es sich handelt, andererseits suggerieren sie durch Einblendung der Unterkunft im ehemaligen Rathaus, das kriminelle Netzwerk sei hier angesiedelt – ohne das tatsächlich zu benennen. Das ist noch kein Betrug, aber Arbeit mit unlauteren Mitteln – und umso fataler, wenn die Vorwürfe tatsächlich stimmen sollten.

Malene Gürgen

die woche in berlin
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Rot-Rot-Grün stellt den Haushaltsentwurf für 2018 und 2019 vor, die Seilbahn in den Gärten der Welt dreht jetzt wieder ihre Runden, die Linke hätte gern eine Privatisierungs-bremse in der Landesverfassung, und ein ZDF-Bericht wirft viele Fragen auf