meinungsstark
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Rita, was kosten die Kondome?

„Nichts, wofür ich mich schämen wollte“,taz vom 25. 11. 17

Ein Tadzio Müller stellt uns seine sexuelle Utopie dar. Alle Männer, die kein HIV haben, sollen Aids-Medikamente nehmen, damit sie mit ihm ohne Kondom vögeln können. Was er verschweigt, dass das natürlich die Ausbreitung fördert von Hepatitis C, anderen Geschlechtskrankheiten, Kondylomen, die häufig Analkarzinome auslösen. Und die Krankenkasse soll das zahlen. Und dazu werden noch alle chemischen Pülverchen eingeworfen, die der Schwarzmarkt zu bieten hat. Und das am besten rund um die Uhr.

Er selbst erzählt, wie er 2008 vollkommen schockiert sein HIV-positiv-Ergebnis erfährt und wirft seinen Freunden vor, keine Ahnung von HIV zu haben. Er versteigt sich zu der Aussage, das ein schwuler Mann nach wenigen Jahren in der Szene sich infiziert haben muss. Allerdings kenne ich Männer, die seit Mitte der 80er Kondome benutzen und immer noch negativ sind.

Dann erfährt der politisch ja so bewusste (hui, sogar: linksradikale) Tadzio durch eine Zufallsbekanntschaft auf der Straße, wie das denn mit der Schwulenbewegung und dem damals tödlichen Aids vor 25 Jahren war. Und da will ich noch etwas Nachhilfe leisten: Die Schwulenbewegung wandelte sich in eine Aids-Solidarität, die schwule Szene rückte eng zusammen und machte sich Gedanken, was Verantwortung bedeutet, wie Ansteckung zu verhindern sei. Kondomsex wurde zur Norm. Barebacker (Leute, die grundsätzlich kein Kondom benutzen) waren selten und geächtet. Und es gab noch eine zweite Regel: nur so viel Alkohol und Drogen, dass man das mit dem Kondom noch auf die Reihe kriegt. Und dabei war es egal, ob man nun einen Partner im Jahr hatte oder jedes Wochenende auf Swingerparties war, da ging man eben mit 50 Kondomen hin. Überall in Bars gabs Kondome. Die Zahl der normalen Geschlechtskrankheiten nahmen massiv ab

Dann wurden die ersten effektiven HIV-Behandlungen eingeführt, Ende der 90er war klar: man kann viele Jahre weiterleben. Erst vorsichtig dann aber immer frecher traten die Barebacker auf, in Teilen der Szene und der Aids-Hilfen sind sie heute tonangebend. Die solidarische Atmosphäre verschwand, Kondombenutzer werden als Moralapostel und Betschwestern lächerlich gemacht. Traditionelle Geschlechtskrankheiten nehmen seit Jahren unter Schwulen enorm zu.

Jetzt hat die Pharmaindustrie diese Gruppe entdeckt und liefert abenteuerliche „Studien“, wonach es volkswirtschaftlich günstiger ist, alle Nichtinfizierten mit Prep zu behandeln, damit man völlig bedrogt lustig durch die Gegend vögeln kann. Die Studien beziehen sich auf monogame HIV-gemischte Paare, nicht aber auf hochpromiske Personen. Millionen gesunde Menschen zu „behandeln“, bringt auch mehr als die paar Infizierten. Natürlich werden die Zugedrönten der Chem-Sex-Szene öfter die Tabletten vergessen und damit resistente HIV-Viren züchten. Aber macht nichts.

Es geht beim Sex nicht darum, die eigene Lust zu maximieren. Die Devise ist: Ich bin für mich und meine/n Partner verantwortlich. Und wir gestalten unseren Sex so, dass es in jeder Hinsicht gesund, befriedigend und erfüllend ist. Tadzio findet aber, dass die Gesellschaft ihm gnadenlos verantwortungsloses Rumficken ermöglichen muss, das ist nicht links, sondern brutalstes FDP-Ego-Konzept. Was wir in der Schwulenszene brauchen ist eine Diskussion über solidarisches Leben, Eigen- und Fremdverantwortung, Gesundheit, HIV, wir brauchen eine Aufwertung des Safe Sex. Rita, was kosten die Kondome? Joachim Gosch, Köln

Schreibt über die Kurden

„Wir sind erschöpft von der Gewalt“, taz vom 27. 11. 17

Für die Auseinandersetzung mit der AKP-Politik gegenüber der kurdischen Bevölkerung war das Interview mit Leyla Imret, Bürgermeisterin von Cizre, eine guter Beitrag. Die Kurden sind nach wie vor in der Türkei unglaublich unterdrückt. Es wäre vielleicht im Sinne von Leyla Imre und der Kurden, wenn die taz die Kurdenfrage aus der publizistischen Versenkung in der Türkei holen würden. Wir haben schon lange nichts mehr in der taz über Abdullah Öcalan gelesen, der in Imrali in Einzelhaft sitzt. Sebastian Müller, Dortmund