Geordneter Rückzug ins Grüne

VON ULRIKE WINKELMANN

1. HardrockHeute läuft im Fernsehen eine Dokumentation über Joschka Fischer. Die Presse durfte sie vorab sehen. Da wird er am Ende gefragt, ob derzeit Bob Dylan seiner Stimmung entspreche. „Nein“, sagt Fischer und grinst: „AC/DC.“ Das ist sehr cool. Aber Herr Fischer, fragt man ihn später im Bus, welches Lied meinten Sie denn – „Highway to Hell“, „Back in Black“, „Thunderstruck“? Da fällt Fischer nichts ein. Das ist eher uncool.

Fünf Tage bis zur Wahl, und die Grünen tun wirklich, was sie können. Ihr Spitzenkandidat, Außenminister Fischer, tourt in einem grün beklebten Bus durchs Land. Fünf, sechs wechselnde Journalisten sind stets dabei. Fischer gibt auf 83 Bühnen der Republik sein letztes verschwitztes Hemd für einen rot-grünen Sieg. Der selbstredend nicht in Frage gestellt wird. Abgesehen davon, dass Opposition auch „keine Schande“ ist, um mit Fraktionschefin Göring-Eckardt zu sprechen.

2. Gipskarstlandschaft

Katrin Göring-Eckardt ist auch unterwegs und schwärmt in ihrem Weblog vom Ausflug in die „einzigartige Gipskarstlandschaft rund um Nordhausen“, die Biosphärenreservat werden soll. Sie beteuert, das Internettagebuch selbst zu führen. Denn die Grünen sind auch so authentisch und seriös, wie sie können. Sie wissen, dass ihre Klientel den reinen Heuchelklamauk nicht schätzt. Irrlichternde Quereinsteiger, grobe Ausfälle, titelzeilige Attacken? Nichts dergleichen. Und weil die Grünen also diszipliniert und authentisch und im Schatten der Volks- und Linksparteien wahlkämpfen, sind sie gerade die uninteressanteste Partei überhaupt.

3. Machtverlust

Natürlich sitzt Fischer jeden Tag im Fernsehen, redet mit Sabine Christiansen und seinem möglichen Amtsnachfolger Wolfgang Gerhardt von der FDP. Reiht mit und gegen Oskar Lafontaine seine Viertel- und Dreiviertelsätze aneinander. Füllt die Marktplätze. Doch was nützt es noch? Die SPD hat sich von den Grünen verabschiedet. Jedes Prozent, das Gerhard Schröder für seine Sozialdemokraten derzeit noch gewinnt, macht bloß eine große Koalition wahrscheinlicher.

Den Grünen aber steht der Machtverlust bevor. Die Allensbach-Demoskopin Elisabeth Noelle erklärt, nur 17 Prozent ihrer Anhänger finden eine Regierungsbeteiligung der Grünen „sehr wichtig“. Sie deutet das so: Die Grünen-Fans „haben sich offenkundig mit einer Oppositionsrolle ihrer Partei abgefunden“. Es „scheinen sich bei ihnen angesichts der ungünstigen Aussichten für ihre Partei Zweifel, vielleicht sogar Anflüge von Resignation auszubreiten.“

4. Siebeneinhalb Prozent

Eine gewisse Ratlosigkeit am Mannheimer Wahlkampfstand streitet auch Gerhard Schick nicht ab. Wie so mancher Grüne versucht er sich als ehrlicher Makler einer möglichen Niederlage. „Ich erkläre den Leuten, warum es wichtig ist, dass wir neun und nicht sieben Prozent bekommen“, sagt der 33-jährige Volkswirt. Er meint, wer an seinem Wahlkampfstand gewesen sei, gehe als wieder überzeugter Grünen-Wähler heim. Der nichtschwäbelnde Schwabe ist eine der größten Nachwuchshoffnungen für die nächste Bundestagsfraktion: Als Steuerexperte ist er eher ein Linker, ansonsten ein echt baden-württembergischer Pragmatiker. Mehr als siebeneinhalb Prozent in Baden-Württemberg seien nicht nur die Gewähr, dass er in den Bundestag komme, sagt er. Sondern auch ein Zeichen an die anderen Parteien, dass sie grüne Inhalte ernst zu nehmen hätten.

Und, wäre zu ergänzen, ein Zeichen an die etablierten Grünen, mit einer Erneuerung ernst zu machen. Denn die Grünen haben sich zu Wahlkampfzwecken als „moderne Linke“ neu entdeckt. Auch möchte mittlerweile nicht einmal eine Göring-Eckardt mehr die Lohnnebenkosten auf breiter Front senken, sondern bloß noch da, wo es nützt. Der Hartz-IV-Verbesserungskatalog von „Altersrückstellung“ bis „Partnereinkommen“ geht führenden Grünen, die sich kürzlich noch „Reformmotor“ nannten und mehr Einschnitte meinten, flüssig von den Lippen.

5. Reform-Entmotorisierung

Doch braucht es für eine kritische Bestandsaufnahme der Reformmotorisierung auch ein paar unbelastete Köpfe. Und die, verharrend auf den mittelguten Listenplätzen, kommen eben nur in den Bundestag, wenn die Wähler die Reformmotoren nicht zu sehr bestrafen. Was diese wiederum als Bestätigung sehen und den Neuen unter die Nase reiben dürften. Trotzdem: Ein Gerhard Schick wird für Christine Scheel, die als Chefin des Finanzausschusses für Steuergeschenke an Aktionäre und Unternehmer haften muss, eine Konkurrenz sein – auch wenn er es selbst nicht sagt.

Sibyll Klotz wird da deutlicher: Sie hat schon aus der Berliner Landtagsfraktion heraus die Politik der Grünen-Arbeitsmarktpolitikerinnen, Thea Dückert etwa, angegriffen. Und sie hat die Absicht, das in der Bundestagsfraktion weiter zu tun. Bislang, erklärt die 44-Jährige, „war ja gar keine Zeit, die Bereiche Arbeit, Wirtschaft, Steuern kritisch durchzudeklinieren“. Sie habe sich schon gewundert, wer im Wahlkampf „da alles hinter meinem Rücken von rechts nach links gewandert ist“. Da werde einiges aufzuarbeiten sein. Erst mal aber steht auch Klotz morgens um halb acht auf Neuköllner Schulhöfen und verteilt Flugblätter gegen Nazi-CDs.

6. Postenschlacht

In der Opposition gibt’s nicht mehr drei Ministerien inklusive Staatssekretärposten plus Fraktionsdoppelspitze. Dann gibt’s an schönen Stühlen nur noch den Fraktionsvorsitz zu besetzen. Sollte Joschka Fischer nicht gerade noch in diesen Tagen Nachfolger von Kofi Annan oder sonstwie Weltpolitiker werden, ist ihm ein Platz dort sicher. Neben ihn gehört eine Frau. Eine Oppositionspartei braucht keine Fraktionsmanagerinnen wie Göring-Eckardt und Krista Sager, sondern echte Schreihälse. Und Fischer braucht ein Gegengewicht: Noch-Verbraucherministerin Renate Künast? Der Neuzugang aus NRW Bärbel Höhn? Keine Personalspekulationen vor der Wahl, ist bei der seriösen Machtverliererpartei die Devise. Nur ein Satz, aus aller Munde, in diesem Fall aus dem Höhns: „Es ist doch eine Chance, so viel gutes Personal zu haben.“

7. Inhaltsschlacht

Das viele gute Personal wird wohl bald zusehen dürfen, wie eine neue Regierung grüne Inhalte demontiert. Natürlich ist sie auch deshalb gegen die große Koalition, sagt Höhn: „Die SPD würde grüne Errungenschaften nicht verteidigen“ – und wenn Schröder tausendmal mit Windenergie und Atomausstieg Wahlkampf macht.

Sollte der einstige Ministerpräsident von NRW, Peer Steinbrück, in einer schwarz-roten Koalition mitregieren, kennt Höhn ihren Gegner bereits. Steinbrück hat wie sein Vorgänger Wolfgang Clement gern betont, sein Regierungsbündnis mit der Ministerin Höhn bis Mai 2005 sei „keine Liebesheirat“ gewesen. In Schleswig-Holstein, seit April schwarz-rot regiert, ist zu besichtigen, wie unter dem Begriff „Bürokratieabbau“ Grünabbau betrieben wird.

Doch die Grünen dürfen eh nicht die kleine Ökopartei für Solardach-Interessenten werden, findet Omid Nouripour. Der 30-jährige Frankfurter hat keinen guten Listenplatz, aber programmatische Ambitionen. Er gehört zu dem Trüppchen, das Mitte 2004 unter dem Motto „Links Neu“ die Grünen aus dem Flügeldenken lösen wollte, aber die Inhalte dazu vergaß. Die werden jetzt nachgeliefert, sagt er. Es geht um Armut und Ausgrenzung: „Ein Fünftel der Gesellschaft hat keinen Anschluss mehr.“ Hier müssten Angebote her: „demokratische Bildung“, kommunale Kultur, Ideen für den aktivierenden Arbeitsmarkt. Ob die Grünen damit jetzt Blumentöpfe gewinnen, weiß Nouripour nicht. „Ich weiß nur, dass irgendeine Scheißpartei das machen muss.“

8. Erkenntnisse

Misst sich Läuterung an Freundlichkeit, ist Joschka Fischer geläutert. Die ihn in anderen Wahlkämpfen im Bus erlebt haben, sind fassungslos: Der Mann ist milde und vergnügt! „Schauen Sie“, weist er aus dem Busfenster auf den Rhein – „der Spätsommer ist die schönste Zeit.“

Herr Fischer, fragt man, um noch einmal auf das härteste Wahlkampfthema zurückzukommen: Wie verhält sich das mit all den grässlichen Wirtschaftsprognosen, die die Union anführt? Werden wir abgekoppelt? Ach, sagt Joschka Fischer: „Die Deutschen müssen immer entweder Weltmeister oder Wurm sein. Die Wahrheit aber ist immer irgendwo dazwischen.“ Die grüne Wahrheit nach dem 18. September wird näher beim Wurm sein.