Allein auf weiter Flur

Fall der Erzieherin, die Kindern den Mund mit Pflaster zuklebte, weist auf Probleme der Tagesmütter hin. Sogar ihr Verband fordert mehr Kontrollen

von Kaija Kutter

Manche Urteile Hamburger Gerichte sind schwer nachzuvollziehen. Erst soll eine Kita wegen Lärmbelästigung schließen, dann wird eine Erzieherin, die Kindern Pflaster auf den Mund klebte, freigesprochen (taz berichtete). Sie sei „befremdet“, erklärte gestern die SPD-Abgeordnete Andrea Hilgers. Und sie hoffe, dass gegen das Urteil Widerspruch eingelegt werde, „damit dieser schwarzen Pädagogik ein Riegel vorgeschoben wird“.

Doch der Fall hat auch eine politische Dimension. Wer hat dieser Frau erlaubt, auf Kinder aufzupassen? Sozialbehördensprecherin Katja Havemeister wies diese Frage gestern ans Bezirksamt Wandsbek weiter. Habe es sich doch bei jener „privaten Kindertagesstätte ‚Grashüpfer‘“ gar nicht um eine Kita, sondern um den Zusammenschluss dreier Tagesmütter gehandelt. Und die „Aufsicht“ über die habe die Wandsbeker „Tagespflegebörse“.

Der zuständige Wandsbeker Abteilungsleiter Albert Fütterer berichtet, dass sich der „Grashüpfer“ aufgelöst habe und die Erzieherin seither in der Tagespflege „nicht mehr in Erscheinung getreten“ sei. Es gebe aber, so Fütterer, eine Menge solcher Zusammenschlüsse von Tagesmüttern, die sein Amt diskussionswürdig fände. So dürfe eine Tagesmutter eigentlich höchstens fünf Kinder betreuen, es gebe aber auch Meldungen, wonach drei Tagesmütter zusammen mehr als 15 betreuen und eine zeitweise mit 20 Kindern allein sei.

In Hamburg gibt es rund 2.500 Tageseltern, in Wandsbek allein 800, für die in der Tagespflegebörse nur viereinhalb Mitarbeiter bereitstehen. Für regelmäßige stichprobenartige Hausbesuche reicht da die Zeit nicht aus. Betreut eine Person weniger als vier Kinder, so die bisherige Regel, braucht sie nicht einmal eine formale Pflegeerlaubnis.

„Jeder Mensch braucht das Gefühl, dass einen auch mal jemand kontrolliert“, erklärt Marianne Zentner vom Verband der Hamburger Tagesmütter und -väter. So aber sei keiner da, der „merkt, wenn die Tagesmutter Mist baut“. Noch zu Beginn der 90er, so erinnert Zentner, sei ein jährlicher Hausbesuch Pflicht gewesen. Später wurde das Jugendhilfegesetz modernisiert und Kontrolle durch ein Qualifizierungsprogramm ersetzt.

Allerdings gibt es heute in Hamburg so wenige Kursplätze, dass lange Wartelisten entstanden sind. „Es müssten“, so fordert Zentner, „endlich wieder Zeit und Helfer freigegeben werden, damit die Tagesmütter nicht weiter allein auf weiter Flur stehen“.

Einen formalen Anlass dafür hat noch die rot-grüne Bundesregierung geschaffen: Ab 1. Oktober soll jede Tagesmutter schon ab dem ersten Pflegekind eine „Erlaubnis“ beantragen und „vertiefte Kenntnisse“ vorweisen und eigentlich auch Hausbesuch bekommen. Doch ob dies „leistbar ist“, sagt Fütterer, „ist noch offen“.