berliner szenen Tatort

Blood on the Bürgersteig

Sie lagen auf dem Bürgersteig wie eine Spur, die zu etwas hinführen soll, aber sie führten nirgendwohin. Sie hörten ohne eine Erklärung in einer riesigen Ketchuppfütze, die wie ein Schwerverbrechen aussah, einfach auf. Ich blickte die Straße rauf und runter, und die Currywurstscheiben blinkten in der Sonne wie talergroße Blutflecken.

Sie waren kaum zufällig oder durch ein Missgeschick hier gelandet – es steckte irgendeine Absicht dahinter. Ich fragte mich, warum ihr ehemaliger Besitzer sie über eine Länge von gut zwanzig Metern auf dem Bürgersteig verteilt hatte. Vielleicht hasste er Currywürste, und das Ganze war eine lang geplante Rache. Möglicherweise hatte er die Currywurst an einem Schnellimbiss unter dem Vorwand gekauft, sie essen zu wollen, war aber stattdessen mit ihr in sein Auto gestiegen und hierher gefahren. Und dann war das geschehen, wovon ich nun das Ergebnis betrachtete. Ich stand eine ganze Weile da, während um mich herum die Leute achtlos an den Currywurstscheiben vorbeiliefen. Es tat mir weh, dass niemand bemerkte, was für eine Tragödie sich hier abgespielt hatte. Was konnte ich für die misshandelte Wurst tun?

Ich ging ins nächste Schreibwarengeschäft, kaufte ein Stück Kreide, kehrte zu den Currywurstscheiben zurück und begann um jede einzelne von ihnen einen Kreis zu ziehen – auch um den großen Ketchupfleck. Jetzt gingen die Leute nicht mehr vorbei, sondern blieben stehen. „Sehen Sie“, sagte ich. „Sehen Sie sich an, was hier passiert ist.“ Nach kurzer Zeit hatte sich ein langes Spalier aus betroffenen Gesichtern gebildet. Mit leisem Gemurmel erwiesen wir den Currywurstscheiben die letzte Ehre.

DANIEL KLAUS