„Das Land wird schlechtgeredet“

taz-Serie „Die Souveränen“ (Teil 2): Manuela Spies (22) arbeitet im Anti-Kriegs-Museum. Nicht Pazifismus, sondern die allgemeine Unzufriedenheit sei wahlentscheidend, bedauert die Studentin

VON WALTRAUD SCHWAB

Im Untergeschoss des Anti-Kriegs-Museums ist ein Luftschutzkeller, wie es ihn im Zweiten Weltkrieg in jedem Wohnhaus gab: Die Wände mit Schlämmkreide gestrichen, damit der Putz bei Erschütterungen nicht aus den Fugen fällt. Davor stehen harte Holzstühle nebeneinander aufgereiht, dazwischen ist Platz für den Koffer.

Manuela Spies stellt den Kassettenrekorder an: eine Originalaufnahme der Sirenen bei Bombenalarm. Höchste Warnstufe, die Verbände sind im Anflug auf Berlin. „Da blieb den Hausbewohnern und -bewohnerinnen nur wenig Zeit, in die Keller zu rennen.“ Spies zeigt auf eine Holztür, die jemand aus Neukölln dem Museum geschenkt hat. Eine Frau, die dort wohnte, hatte jeden Bombenalarm, der sie in den Keller trieb, mit Datum und Uhrzeit versehen. Mehr als 350 Eintragungen sind es. „Stellen Sie sich das vor: ein ganzes Jahr unter Bomben.“

Die 22-jährige Studentin der Museologie erklärt auch all die anderen Details im Keller: An einer Wand, gut markiert, sind die locker gemachten Ziegelsteine, die zum Nebenhaus führten. „Falls der Ausgang verschüttet war, war dies ein Fluchtweg.“ Wie der Stützbalken, Attrappe eigentlich, diente auch der Fluchtweg dem subjektiven Sicherheitsgefühl der Schutzsuchenden. Kochstelle und Latrine, wie in diesem Museumskeller, „waren längst nicht in jedem vorhanden“, erläutert die Studentin, die ehrenamtlich im Anti-Kriegs-Museum die Führungen macht, genauso wenig wie die Doppelstockpritsche oder das Gasmaskenbettchen für Säuglinge. Außerdem verweist sie auf Zumutungen der Nazis: dass jüdische Hausbewohner und -bewohnerinnen etwa nicht in den Luftschutzkeller durften.

Unter den Ehrenamtlichen im Anti-Kriegs-Museum sind fast ein Dutzend junge Leute, die die täglichen Öffnungszeiten abdecken, denn Freiwilligkeit trägt die kleine Einrichtung. Oft fangen sie als Praktikanten an wie die 22-Jährige und bleiben. „Hier kann ich meine Meinung kundtun und mich mit anderen über Krieg auseinander setzen“, versucht sie die Ursache fürs Engagement zu ergründen. „Man wird ernst genommen, auch als jemand, der noch auf der Suche ist nach Antworten.“ Im Anti-Kriegs-Museum stimme die zwischenmenschliche Atmosphäre. „Es hat was Familiäres.“ Hier werde man gebraucht und man dürfe eigenständig mitarbeiten. Neues Material archivieren, Pressetexte entwerfen, Hintergrundtexte für die Exponate erstellen.

Manuela Spies hat die Biografie von Mahatma Gandhi für die Ausstellung geschrieben. Für sie, die unbedingt Museumskunde studieren wollte, sei der Ort ideal gewesen, um erste Erfahrungen für ihr Berufsfeld zu sammeln. Kunstgeschichte, Inventarisation, Recht und Verwaltung, Ausstellungsorganisation und -gestaltung kommen in ihrem Studium vor.

Die junge Frau ist in Mahlsdorf geboren. Ihr Großvater war jahrelang Soldat im Zweiten Weltkrieg. Er hat offen darüber erzählt, wie er die nationalsozialistische Propaganda geglaubt und sich am Anfang hat begeistern lassen, bald aber den Abgrund verstanden hat, der sich da auftat, und nicht dagegen angehen konnte. Spies glaubt, dass ihre Auseinandersetzungen mit dem Großvater ihr Interesse am Zweiten Weltkrieg geweckt und ihr Denken mit geprägt haben. „Die pazifistische Haltung ist mir sehr wichtig.“ Es entsetzt sie, dass Deutschland nach Frankreich der zweitgrößte Waffenexporteur in Europa ist.

Zusammen mit dem ein Jahr jüngeren Jean-Louis Jankowsky sitzt Spies nach der Führung im gemütlich eingerichteten kleinen Büro des Museums. Hier wird über vieles geredet. In Wahlkampfzeiten wie diesen drängt sich das Politische leicht auf. „Pazifismus ist wohl kein wahlentscheidender Grund“, stellt Spies nüchtern fest. Vielmehr sei es die Unzufriedenheit der Leute, die allerdings von den Parteien instrumentalisiert werde. Sie wird wählen gehen, ja ganz bestimmt. „Das Wählen ist mir ein wichtiges Gut“, sagt sie, „andere sind dafür gestorben, dass ich es heute darf.“

Aber sie weiß noch nicht, wem sie ihre Stimme geben soll. „Eigentlich bin ich mit keiner Partei zufrieden.“ Ihr bleibt nur das Ausschlussverfahren. Schwarz und Gelb nein. Sie tendiert eher nach links. Zur Linkspartei? „Die sagt einen Großteil der Sachen, die sich die Menschen wünschen, aber sie sagt nicht, wie sie sie umsetzen will.“ Zudem stört Spies, dass die PDS da so stark drinhängt. „Da sind zu viele alteingesessene DDR-Anhänger unter den Parteimitgliedern.“ Teile der SPD wiederum sprechen sich ja sogar für eine große Koalition aus, was, ihr nicht zusagt. Ihre Ratlosigkeit treibt sie nicht in die Verzweiflung. Noch ist Zeit zum Diskutieren.

Jankowsky, in Berlin geboren, aber mit französischem und polnischem Pass, darf nicht wählen. Er lenkt das Gespräch auf die internationale Ebene. Globalisierung ist sein Thema und wie sie die Leute in Deutschland verunsichert. Obwohl durch und durch Berliner, beobachtet er das aus der Distanz eines „Europäers“, wie er sich nennt. Ins Anti-Kriegs-Museum übrigens ist er gekommen, weil er die ehemaligen Kriegskontrahenten im Blut hat. Ein Urgroßvater war bei der Reichswehr, ein anderer bei der französischen Armee. Ein Teil seiner polnischen Herkunft war früher auch deutsch.

Spies wendet den Blick vom Internationalen wieder zurück. „Deutschland wird schlechtgeredet“, bringt sie einen neuen Aspekt in die Diskussion. Dahinter stecke auch Politik. „Gürtel enger schnallen auf der einen Seite und Unternehmensgewinne auf der anderen.“ Der Fokus aber liege auf der Argumentation, dass der Sozialstaat zurückgefahren werden müsse. Solche Rhetorik untermauere einen ungerechten Verteilungskampf. Wohin das führe, das könne sie jetzt auch nicht sagen, denn ihr Freund ist gekommen, um sie abzuholen. Sie muss los.

Anti-Kriegs-Museum, Brüsseler Str. 21, Berlin-Wedding. Infos im Netz unter: www.anti-kriegs-museum.de