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: Frankreichs Zuschauen bei Ruandas Genozid bleibt ungesühnt

Am 27. Juni 1994, als der Völkermord an Ruandas Tutsi bereits Hunderttausende Opfer gefordert hatte, stieß eine französische Armeepatrouille auf den Hügeln von Bisesero im Südwesten auf eine Gruppe von Tutsi. Seit Monaten hatten sie dort ausgeharrt, permanent gejagt von den Intera­hamwe-Milizionären der damaligen ruandischen Hutu-Regierung unter Anleitung der damaligen ruandischen Armee. Ein paar tausend waren noch übrig, von ursprünglich 50.000.

Von den Franzosen, die ein paar Tage zuvor in Ruanda eine „humanitäre Intervention“ gestartet hatten, erhofften sie sich endlich Schutz. Die französischen Soldaten meldeten das Auffinden der Tutsi an ihre Vorgesetzten – aber die reagierten nicht. Stattdessen kamen die Hutu-Milizen und -Soldaten. Drei Tage lang wüteten sie, während ein französisches Truppenkontingent wenige Kilometer entfernt lagerte. Rund 1.000 Menschen starben. Am 30. Juni erst wurden die letzten Überlebenden von Bisesero gerettet – auf Initiative einzelner französischer Journalisten und Soldaten, nicht als Folge eines Einsatzbefehls.

Diese Vorwürfe von Menschenrechtsgruppen und Völkermordüberlebenden beschäftigen schon seit 2005 die französische Justiz. Nun stehen die Ermittlungen aufgrund der damals eingereichten Klage gegen Frankreichs Armee wegen unterlassener Hilfeleistung und Beihilfe zum Völkermord vor der Einstellung. Wie die Kläger am Donnerstag bekanntgaben, beschloss der zuständige Ermittlungsrichter in Paris am 31. Oktober, die beiden damals höchsten Militärverantwortlichen Frankreichs gar nicht erst zu vernehmen: Admiral Jancques Lanxade, 1994 Frankreichs Generalstabschef, und General Raymond Germanos damals im Generalstab verantwortlich für Operationen.

Schon im August hatte der Richter deren Vernehmung abgelehnt – mit der Begründung, die Kommandeure der französischen „Operation Turquoise“ in Ruanda hätten weitgehend eigenständig gehandelt und eine Befragung von damals in Paris arbeitenden Generälen sei daher überflüssig. Die Kläger aber sagen, Lanxade und Germanos seien ab 27. Juni über Bisesero informiert gewesen, hätten aber keinen Befehl erteilt, gegen die Massaker vorzugehen.

Sie verweisen auf den Ermittlungsbeschluss, in dem steht, es gehe darum, „festzustellen, ob die Verzögerung von drei Tagen zwischen der ersten Entdeckung der Tutsi und dem Eingreifen der französischen Armee eine bewusste Hilfe oder Unterstützung der von den Intera­hamwe und den ruandischen Behörden an diesen Flüchtlingen verübten Verbrechen des Völkermordes und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt“.

Die Kläger sind die französische Organisation Survie, die Internationale Menschenrechtsföderation FIDH und die Menschenrechtsliga, dazu ruandische Zivilkläger aus den Reihen der Überlebenden des Völkermords. Seit 2015, kritisieren sie, seien zahlreiche beantragte Vernehmungen nicht angesetzt worden. Sie werfen auch Frankreichs Verteidigungsministerium vor, wichtige Dokumente zurückzuhalten.

23 Jahre nach der umstrittenen französischen Operation Turquoise – als deren Ergebnis zwar manche Tutsi gerettet, vor allem aber die Flucht des für den Völkermord verantwortlichen Hutu-Regimes in den Kongo abgesichert wurde – bleibt das Ausmaß der Mitverantwortung Frankreichs für den Völkermord an bis zu einer Million Menschen in Ruanda noch immer ein Tabu. François Misser