: Keine Zugabe
Auf Tour mit den Schrammel-Folk-Poppern Swutscher aus dem Moor bei Hamburg
Aus Flensburg Jan Paersch
Es ist nach Mitternacht in Flensburg, und Sascha Utech erzählt von seiner Kindheit. Samstagabend, das Konzert von Swutscher ist seit Stunden vorbei, die Band sitzt auf ausgeleierten Sofas im ersten Stock des Kulturzentrums Volksbad, raucht und trinkt. Letzte Mischgetränke mit Beständen aus dem Backstage-Kühlschrank und mitgebrachtem Schnaps. Sänger Utech, mit verschwitztem weißen Hemd, Achttagebart und Brille, hat sicher ein halbes Dutzend Gläser „Coko“ getrunken, Cola-Korn, und mindestens ebenso viele Biere. Anrufe werden getätigt, zwielichtige Gestalten breiten sich auf den Sofas aus, doch der Mann mit den den Hals hinaufrankenden Tattoos möchte reden.
Von der Zeit, in der seine Mutter ihn, den Siebenjährigen, mitten in der Nacht einpackte und von Berlin-Neukölln nach Henstedt-Ulzburg floh. Ländliches Hamburger Umland statt Millionenstadt, ein Kulturschock. Von seinem Stiefvater, der ihn zunächst mit Geschenken überhäufte und später mit Missachtung strafte. Von seinen Teenie-Jahren, in denen er von Zuhause auszog, zwischen Hamburg und Berlin pendelte und zeitweise sogar auf der Straße lebte. Was macht so etwas mit einem?
„Das sind Dinge, die man in dem Moment nicht verarbeiten kann“, sagt Utech ernsthaft und sanft. „Ich habe das lange beiseite geschoben. Je älter man wird und je klarer man sich selbst als Person sieht, desto leichter fällt es, über diese Zeit zu schreiben.“ Der heute 30-Jährige brach eine Bäckerlehre ab, arbeitete als Fischverkäufer und Putzkraft, aber eigentlich wollte er nie mehr als Musik machen. Die Auseinandersetzung mit dem Alltagsleben empfand er als erdrückend. „Aber ich wollte immer etwas sagen! Wollte präsent sein.“
Auf die erste Schülerband mit zwölf folgten weitere. Nun also Swutscher. Der Name kommt von Utechs Oma, Übersetzung aus dem Plattdeutschen: „ein liederlich lebender Mensch“. Was als Ein-Mann-Projekt begann, eine Klampfe und ein paar rausgegrölte Texte, wurde ein Duo, ein Quartett, ein Sextett. Schrammelige Westerngitarre, begleitet von rauem Gesang, Akkordeon, verzerrten Rockgitarren. Das erste Album ist gerade fertig geworden, im März wird es erscheinen. Als „LoFi Country from Henstedt-Rhen“ beschreibt die Band sich selbst, und jedem fallen dazu andere Referenzen ein: Ton Steine Scherben, Johnny Cash, Violent Femmes, Element of Crime. Utechs Lieblingsdichter ist Manfred Krug. Garage meets Chanson, Kneipen-Suff meets Dorf-Romantik, drogeninduzierte Ekstase meets depressive Nachmittagsstimmung – das ist die Welt von Swutscher.
Doch was bedeutet das eigentlich? Was gibt einem das gelebte Klischee eines Rock-’n’-Roll-Sängers, der von seiner Band sagt, sie würden eher in der Kneipe versacken als proben? Zur Klärung fährt man am Besten zu einem Konzert mit: zu sechst im Bus, in 24 Stunden von Hamburg nach Flensburg und zurück.
Mit Swutscher unterwegs zu sein, fühlt sich nach „Almost Famous“ an, dem autobiografischen Film des Musikjournalisten Cameron Crowe. Auf engem Raum mit unrasierten Hutträgern eingesperrt, die über den Suff der letzten Nacht sprechen und zugleich die Beschaffung von Rauschmitteln für die kommende organisieren, stellt man sich unweigerlich die Frage, ob es zum Job gehört, auch selbst Teil der Ausschweifungen zu werden. Sind vier bis fünf Bier okay? Was ist mit Schnaps?
Eine Flasche davon wird durch den VW-Bus gereicht, lautstark läuft Punk, wir biegen auf die Autobahn. Mit dem 20-jährigen Gefährt ist Gitarrist Velvet Bein schon zu Konzerten nach Marseille und Brighton gefahren. „Einmal sind wir liegengeblieben, weil wir nicht getankt hatten“, sagt der 28-Jährige mit den schulterlangen Locken, der auch Swutschers Label La Pochette Surprise leitet. Mit dem geplanten Soundcheck im Volksbad um 18 Uhr könnte es eng werden. Zumal wir noch einen Zwischenstopp einlegen.
Östlich von Hamburg, irgendwo zwischen A1 und dem Großensee, wohnt Schlagzeuger Martin im idyllischen Garten einer alten Dorfschule. Zwischen Apfelbäumen und Brennnesseln steht der Bauwagen, in dem Swutscher ihre Debüt-EP mit dem Titel „Wahnwitz“ eingespielt haben. Auch ihr kommendes Album „Wilde Deutsche Prärie“ ist dort entstanden. Zuvor hatten die sechs schon ein richtiges Studio ausprobiert, aber Utech sagt: „Das waren nicht wir. Da war es beengt, aber wir brauchen das Dreckige und die Natur drumherum.“
Der Sänger hat, bei aller urbanen Lust an durchfeierten Nächten, seinen Frieden mit dem Landleben gemacht. Beim Ausladen in Flensburg zeigt er seine Tattoos: den bekifften Garfield, den glücklichen Delphin und: den „Rhen“-Schriftzug am Handgelenk. „Es ist einfach herrlich dort. Viel Ruhe, viel Land, wenige Menschen, die Alsterquelle um die Ecke.“ Utech hat Familie, seit acht Jahren ist er verheiratet. Er spricht von dem Glück, dass seine Frau ihn unterstütze: „Sie ist die Bodenständige von uns. Ein richtiges Krafttier!“ Bisher verdient der Sänger nur ein besseres Taschengeld mit seiner Musik. 150 Euro plus Hutspende bekommen Swutscher für den Auftritt in Spuckweite der Flensburger Förde. Nicht schlecht für eine unbekannte Band, doch durch sechs geteilt, bleibt kaum etwas übrig.
Nun schleppen sie aufgekratzt Bassdrum, Gitarrenkoffer und Verstärker durch den Nieselregen: Velvet Bein, Sascha Utech, Martin, Sepp, Sven und Mike. Optisch sind diese sechs Typen schwer einzuordnen, sie könnten Hippies, Salonpunks oder Parkbankkiffer sein. Sie seien „Hinterwäldler“, sagt der Sänger, grinst, und dreht sich noch eine Zigarette. Hat er Lampenfieber? „Nein, nie. Wenn du das verkörperst, was du bist, brauchst du nicht nervös zu sein. Du musst den Ekel verkörpern.“
Um kurz nach neun ist Showtime im Volksbad, hier, wo früher die Arbeiter in großen Zubern den Ruß von den Körpern schrubbten. Vielleicht 60 Zuhörer sind in das ehrenamtlich geführte Kulturzentrum gekommen, und vor der Bühne ist viel Platz, ein riesiger Halbkreis hat sich gebildet. Eine räumliche wie emotionale Distanz, die zu überbrücken jeder Band schwerfallen muss. „Ich bin Sänger, nicht Entertainer. Den Satz ‚Kommt doch mal ein bisschen näher‘ wirst du von mir nicht hören“, wird Utech später sagen.
Der Funke will nicht überspringen, der Applaus bleibt nordisch unterkühlt, niemand will eine Zugabe. Auch die Band ist mit ihrer Performance unzufrieden, der letzte Auftritt ist drei Wochen her und das Timing stimmt nicht immer. Was dem ungeübten Ohr nicht auffällt. Denn Swutscher sind weit gekommen seit dem allerersten Auftritt als Duo in einem Rhener Tattoostudio vor drei Jahren.
Wenn Utech mit heiserer Stimme anzählt und Swutscher mit der geballten Wucht von drei Gitarren loslegen, versteht man, welche Hingabe der Sänger meint, wenn er davon spricht, im Leben nur Musik machen zu wollen. Swutscher mögen allen gängigen Rock-’n’-Roll-Klischees entsprechen, doch wenn es darauf ankommt, wirkt diese Truppe feierwütiger Endzwanziger stocknüchtern. Utech hat eine angeborene Bühnenpräsenz, herzt seine Bandkumpanen zwischen den Songs, und wenn er sich in einen Song hineinsteigert, verdreht er die Augen nach oben, bis das Weiße zu sehen ist. Gitarrist Bein, der noch in mindestens zwei weiteren Bands spielt, bringt einen dreckigen Garage-Einfluss mit, und verleiht diesen zuweilen schunkeligen Kneipenliedern einen Schuss Psychedelia. Keyboarder Sepp hat zwar sein Akkordeon vergessen, doch seine Orgel spielt er mit einer Verve, als stünde er auf Bob Dylans „Highway 61“.
Einen der Schlüsselsongs von „Wilde Deutsche Prärie“ spielen die sechs an diesem Abend nicht. Utech hat die Geschichte seiner Kindheit in „VonAnachBzuC“ vertont. Nur zur Akustikgitarre erzählt er, wie seine Mutter eines Nachts den Vater verließ:
„Ja, Muttern verschlägt es in den Norden / Bei Nacht und Nebel mit Geschrei / Fürn Lütten hat sie extra noch Zwieback mit Butter dabei / und den Alten, den siehste noch im Rückspiegel / er ist am Toben und am Schreien“. Es ist Mitternacht in Flensburg, Utech raucht die fünfundzwanzigste Zigarette des Tages. „Musik gibt mir die Freiheit, all das auszusprechen, was ich sonst nicht aussprechen würde.“ Der Sänger geht nach nebenan und holt sich noch ein Bier.
Nächstes Konzert: heute, 21 Uhr, Beach-Motel Sankt Peter-Ording, Eintritt frei; Mi, 29. 11., Golden Pudel Club, Hamburg
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