Europa lässt sich verkohlen

ENERGIE Der billige fossile Brennstoff boomt und verdrängt derzeit immer stärker das Erdgas – auch der Emissionshandel ändert daran nichts

Großbritannien rechnet mit dem höchsten Kohleverbrauch seit den sechziger Jahren

VON BERNWARD JANZING

FREIBURG taz | Ökoboom hin oder her: In Europa wird immer mehr Kohle verbrannt: 520 Millionen Tonnen wurden im vergangenen Jahr in der EU verfeuert – fast 7 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch in diesem Jahr geht die Entwicklung in ähnlichem Stil weiter: In den ersten neun Monaten des Jahres 2012 verbrauchte Deutschland 3,1 Prozent mehr Steinkohle und 5,9 Prozent mehr Braunkohle als im Vorjahrszeitraum. Großbritannien rechnet unterdessen laut Guardian für 2012 sogar mit dem höchsten Kohleverbrauch seit den späten sechziger Jahren.

Die Kohlewelle, die derzeit Europas Energiewirtschaft erfasst, hat ihren Ausgangspunkt jenseits des Atlantiks: Weil in den USA per „Fracking“-Verfahren derzeit Schiefergas in gigantischem Ausmaß aus dem Untergrund gepresst wird, ist dort der Gaspreis rapide gefallen. Kohle ist jedoch besser zu exportieren als Gas: Die U.S. Energy Information Administration geht deshalb davon aus, dass der Kohleexport im Jahr 2012 mit 125 Millionen Tonnen ein Rekordniveau erreichen wird.

Das drückt den Weltmarktpreis: Aktuell kostet die Tonne Steinkohle nur noch rund 83 Dollar, Anfang 2011 mussten Käufer noch 139 Dollar bezahlen. Allein seit Februar ist der Preis um 30 Prozent gefallen. Damit können Gaskraftwerke nicht konkurrieren. Auch der Emissionshandel kann den Preisvorteil der Kohle nicht kompensieren: Die Tonne CO2 wird derzeit für 7 bis 8 Euro am Markt verscherbelt. Der Grund: Die EU hat in den vergangenen Jahren zu viele Emissionszertifikate ausgegeben.

Da vom Emissionshandel kein spürbarer Preisdruck im Sinne des Klimaschutzes ausgeht, denken Umweltverbände wieder verstärkt an nationale Lösungen. Am konkretesten sind die Vorschläge der Deutschen Umwelthilfe (DUH), die einen Mindestwirkungsgrad für Kraftwerke oder aber eine maximal zulässige CO2-Emission pro Kilowattstunde Strom fordert. So könne man die Kohle zurückdrängen, sagt DUH-Rechtsexperte Jürgen Quentin: Für neue Kraftwerke solle festgelegt werden, dass sie einen Wirkungsgrad von mindestens 58 Prozent oder einen maximal zulässigen CO2-Ausstoß von 350 Gramm pro Kilowattstunde haben. Das sei sogar mit europäischem Recht vereinbar, glaubt Quentin. Diese Vorgaben könnte man auch auf den bestehenden Kraftwerkspark ausweiten. Dann müssten ineffiziente Altanlagen vom Netz. Mit angemessene Übergangsfristen sei das rechtlich möglich.

Und noch eine Möglichkeit sieht die DUH, um die Kohle zurückzudrängen: „Man könnte im Energiewirtschaftsgesetz Anforderungen an die Flexibilität neuer Kraftwerke definieren“, sagt Quentin. Denn wenn künftig ein Kraftwerk in der Lage sein muss, binnen einer definierten Zeit seine Stromerzeugung in festgelegtem Umfang zu erhöhen oder zu senken, wären die trägen Kohlemeiler vom Markt. Das läge dann nicht nur im Interesse des Klimaschutzes, sondern wäre auch der Netzstabilität förderlich: Die Energiewende braucht nämlich mehr und mehr flexible Kraftwerke.