das portrait
: Die Intellektuelle auf der Bühne: Kirsten Denewird für ihr Lebenswerk geehrt

Foto: Reinhard Werner/Burgtheater

Kirsten Dene erhält heute Abend in Wien den österreichischen Theaterpreis „Nestroy“ für ihr Lebenswerk. Es ist nicht ihre erste bedeutende Auszeichnung – und sie führt vor Augen, in welchem Ausmaß die 1943 in Hamburg geborene Schauspielerin seit über 30 Spielzeiten das Wiener Burgtheater prägt, über alle Intendantenwechsel, Regiestile und Krisen hinweg.

Wo das öffentliche Fernsehprogramm Klatsch und Tratsch zur Primetime gleich nach den Nachrichten sendet, macht Denes unaufgeregtes Berufsethos sie zur Exotin. Dafür hat das Wiener Theaterpublikum sie als heimliches Gegenteil seiner selbst ins Herz geschlossen. In der Branche war über die Juryentscheidung nur Gutes zu hören. Vielleicht auch weil der Preis seine Trägerin noch auf der Höhe ihrer Möglichkeiten erreicht und sich nicht, wie es öfter bei Auszeichnungen der Lebensleistung geschieht, noch kurz vor der Ewigkeit bedeutungsheischend in eine Biografie schleicht.

So viel Konsens war nicht immer. An die Burg kam Dene als eine der Protagonisten des Ensembles von Claus Peymann, mit dem sie seit 1974 in Stuttgart, später in Bochum und schließlich in Wien zusammenarbeitete. Von Lady Macbeth über die Thusnelda in Peymanns legendärer „Hermannsschlacht“ bis zu mehr oder minder dem gesamten Thomas-Bernhard-Œuvre reicht die Liste ihrer Rollen.

Ein sozialdemokratischer Kulturminister hatte Peymann ab 1986 an der Burg engagiert – mit dem impliziten Auftrag einer nachholenden Modernisierung. Das Haus sollte nach Jahren des Schlummers wieder Inhalte setzen und stilbildend im deutschsprachigen Theater wirken. Mit DramatikerInnen wie Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek und Peter Turrini fand das Nachdenken über die Geschichte und gegenwärtige politische Identität Österreichs auf der Burgtheaterbühne statt. Das verlief nicht ohne Friktionen. Die Operettenkriege nicht nur um „Heldenplatz“ sind Legion.

Zur Signatur von Denes Auftritt gehört nicht nur ihre sonore Alt-Stimmlage, sondern auch, dass sie sich nicht um ihrer selbst willen „nach vorne“ spielt, wie es jüngere KollegInnen bisweilen tun, die unter dem Eindruck neoliberaler Nahrungskonkurrenz im Beruf sozialisiert sind. Kirsten Dene bleibt stets Kirsten Dene, ist aber wie kaum eine andere in der Lage, ihre Präsenz auf der Bühne mit gesellschaftlichen Haltungen aufzuladen, die jedem ihrer Sätze ein Spektrum erhellender Subtexte öffnen. Manche sagen, sie agiere wie eine Intellektuelle auf der Bühne. Mit „Ritter, Dene, Voss“ einem Stück für „intelligente Schauspieler“, setzte Thomas Bernhard dieser reflektierten und doch sinnlichen Spielweise 1986 ein frühes literarisches Denkmal.

Dene gelingt es, Wesentliches auf der Bühne auf ganz unpathetische Weise zu verhandeln. Das kann bisweilen auch hochkomisch sein. Selbst harmlose Fingerübungen wie Oscar ­Wildes „Bunbury“ gewinnen entwaffnende Dringlichkeit, wenn Kisten Dene als Lady Bracknell die Reißzähne einer sich wechselseitig kannibalisierenden bürgerlichen Gesellschaft ausfährt. Uwe Mattheiss