„Dieses irrationale Fieber“

DEUTSCHLAND-PREMIERE Die Landesbühne Nord zeigt in Wilhelmshaven David Lescots Stück „Das System Ponzi“. Der Autor über den vielleicht größten Massenbetrüger in der Geschichte der Finanzwirtschaft, und warum er ihn trotzdem nicht verurteilen will

■ 41, Sohn der französischen Stimme von Yoda aus „Star Wars“, ist einer der interessantesten französischen Dramatiker. Für sein autobiografisches Prosa-Langgedicht „La Commission centrale de l’enfance“ erhielt er 2009 den Molière, Frankreichs höchste Theaterauszeichnung, in der Kategorie „Offenbarung des Jahres“.  FOTO: ELIE BESSAC

taz: Herr Lescot, schon wieder ein Stück von Ihnen in Wilhelmshaven …

David Lescot: Stimmt, es ist schon das dritte.

Man mag Sie da, wie es scheint.

Das gilt auch umgekehrt – selbst wenn ich diesmal nicht kommen kann: Ich bin hier mitten in den Proben für mein nächstes Stück. Aber mir gefällt dieser etwas rüde Charme der Stadt da direkt am Meer, dieses nördliche. Und außerdem ist da Gerhard Hess …

... der scheidende Intendant der Landesbühne.

Ich finde seine – wie sag ich’s: Treue? außerordentlich. Wie er uns Autoren pflegt, an uns festhält, das ist etwas sehr Seltenes, und sehr wertvoll.

Ihr aktuelles Stück „Das System Ponzi“ ist schwierig einzuordnen in die Theatertraditionen. Natürlich gibt’s da diese leitmotivischen Fliegen, die wie bei Sartre eine Art Rachegöttinnen (Erynnien) sind …

… aber ich bin kein besonders Sartre-naher Autor.

Ja eben!

Zu seiner Philosophie will ich ja nichts sagen, aber seine Stücke – also ich weiß nicht. Ich habe eigentlich keine direkten Vorbilder: In Frankreich behaupten manche Kritiker, mein Theater sei brechtisch. Ich finde das passt überhaupt nicht.

Könnte das daran liegen, dass Ihre Dramen so erzählerisch, also episch sind?

Das stimmt. Es macht mir viel Spaß, mit den Mitteln der Bühne etwas zu erzählen: Das ist etwas anderes als bei einem Roman, die Strukturen und die Sprache sind viel musikalischer. An dieser Musikalität liegt mir viel.

Diesmal erzählen Sie das Leben des Carlo Ponzi, einer recht vergessenen Figur. Wie sind Sie auf die gestoßen?

Auf Umwegen. Als die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise anfing, suchte ich nach einer Person, mit der sich diese Finanzwelt fassen ließe. Zuerst war ich da auf Bernard Madoff gestoßen …

den betrügerischen Vorsitzenden der New Yorker Nasdaq-Börse.

Ein wirklich interessanter Typ. Aber über den gab es sehr schnell schon sehr viel, Erzählungen, Filme … Über die Recherche bin ich aber auf Ponzi gestoßen, der eine Art Vorbild für Madoff war.

Durch das Ponzi-Schema, das die Zinsen der Anleger aus ihren eigenen Einlagen bezahlt. Ist diese Höllenmaschine typisch für die Finanzwelt?

Ich bin kein Wirtschaftsfachmann. Auf jeden Fall ist Ponzi eine ihrer emblematischen Figuren. Und es ist möglich, Ponzis Traum mitzuträumen.

Er ist kein Bösewicht?

Ich wenigstens wollte ihn nicht verurteilen. Das haben ja schon die Gerichte erledigt – und ziemlich gründlich. Aber es ist auch wirklich so, dass man sich bei Ponzi nicht sicher sein kann. Es wirkt, als hätte er selbst an sein System geglaubt. Nur hat er dieses System vermarktet, ohne es vorher ernsthaft auszuprobieren. Und dann hat er die Fassade mit seinem Zins-Trick einfach aufrechterhalten und massenhaft Kleinanleger angelockt.

Da gibt’s diesen zentralen Dialog, wo er seinen Gemüsehändler verführen will, Geld anzulegen. Und als der nachdenken will, lassen Sie Ponzi sagen: „Nein, denken Sie nicht nach. Probieren Sie es“. Ist das die Idee der Kapitalwirtschaft?

Natürlich. Das Wichtige ist dieses merkwürdige irrationale Fieber, dieser Drang, zu handeln, bevor man anfangen kann, nachzudenken, bevor die Vernunft sich in Gang setzt. Das ist, was mich interessiert – diese Bereitschaft, sich zu verlieren, diese blinde Lust am Untergang.

INTERVIEW: BENNO SCHIRRMEISTER

„Das System Ponzi“, Stadttheater Wilhelmshaven, Sa 3. 11., 22 Uhr