: Podemos bleibt auf Spanien-Kurs
Unabhängigkeitsbefürworter der Partei unterliegen in Votum über Bündnis für Kataloniens Neuwahlen
200 katalanische Bürgermeister, Angehörige der „Associació dels municipis per la independencia“ (AMI), haben am Dienstag vor den EU-Gebäuden in Brüssel demonstriert. Man wolle auf die „fürchterliche“ Lage in Katalonien hinweisen, sagt Sandra Zaragoza, Bürgermeisterin des kleinen Camarles (3.300 Einwohner) im Ebro-Delta: „Wir haben alle unsere demokratischen Rechte verloren.“
Wie die meisten ihrer Kollegen sieht sich Zaragoza als Opfer zunehmender Repression gegen Befürworter einer Unabhängigkeit Kataloniens. „Wir sind alle angeklagt worden.“ – erst der Präsident und der Vizepräsident der Autonomieregierung, dann Parlamentarier, und nun die 720 Bürgermeister, die Einrichtungen für das Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober zur Verfügung gestellt hatten. Sandra Zaragoza fürchtet als Mindeststrafe die Amtsenthebung und Geldbußen. Gefängnis bislang nicht. „Aber wenn ich sehe, was so passiert, wüsste ich nicht, warum sie das mit den Bürgermeistern nicht machen sollten.“
EU-Parlamentarier Josep Maria Terricabras von der Pro-Unabhängigkeitspartei Esquerra Republicana de Catalunya (ERC), der die Demonstranten begrüßt, nennt die Entwicklung in Katalonien „Irrsinn“. Zum Schicksal der Bürgermeister sagt er: „Es kann ihnen alles passieren. Man kann ihnen Süßigkeiten geben oder sie ins Gefängnis stecken.“ Die halbe katalanische Regierung sei in Madrid inhaftiert, die andere Hälfte ist frei – in Brüssel, „denn die belgische Justiz ist demokratisch, aber die Gewaltenteilung in Spanien ist ein makabrer Scherz“.
Europa müsse „die Augen öffnen“, findet Bürgermeisterin Zaragoza: „Es ist eine innereuropäische Angelegenheit.“ François Misser, Brüssel
Aus Madrid Reiner Wandler
Die Basis der linksalternativen Podemos in Katalonien hat entschieden: 72 Prozent der vier Jahre jungen Partei wollen zusammen mit Catalunya en Comú, der Formation von Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau, bei den katalanischen Wahlen am 21. Dezember antreten. Damit unterlag die Strömung deutlich, die lieber ein Bündnis mit den Befürwortern der Unabhängigkeit Kataloniens eingegangen wäre.
Die Basisabstimmung war vom Parteivorstand in Madrid unter Pablo Iglesias einberufen worden, nachdem die antikapitalistische Strömung innerhalb von Podemos die Unabhängigkeitserklärung Kataloniens begrüßt hatte.
Insgesamt stimmten über 17.000 Mitglieder und Sympathisanten ab. Das sind 60 Prozent derer, die in Katalonien auf der Podemos-Plattform eingeschrieben sind und das Web regelmäßig konsultieren – mehr als bei allen anderen Abstimmungen zuvor.
Bei der Abstimmung ging es auch um die Linie im Wahlkampf. Die Liste, die vermutlich unter dem Namen En Comú Podem (Gemeinsam können wir) antreten wird, unterstützt weder die einseitige Unabhängigkeitserklärung noch Zwangsmaßnahmen der Madrider Regierung von Mariano Rajoy.
Rajoy hatte vor zehn Tagen mit dem Verfassungsartikel 155 in der Hand die katalanische Regierung entlassen, die Verwaltung der Region übernommen sowie Neuwahlen ausgerufen. Bis auf Podemos unterstützen dies alle anderen spanienweit agierenden Parteien.
Albano Dante Fachin, der katalanische Generalsekretär von Podemos, legte bereits am Montag sein Amt nieder und verließ die Partei. Am Dienstag folgten ihm weitere acht Mitglieder aus dem Regionalvorstand. Dante Fachin will jetzt mit eigener Partei das Bündnis mit denjenigen suchen, die vor zehn Tagen die Unabhängigkeit Kataloniens ausgerufen hatten. Bis Dienstagabend konnten die Parteien Bündnisse für die Neuwahlen anmelden.
Spitzenkandidat der Liste von Podemos und Catalunya en Comú wird der Abgeordnete im spanischen Parlament Xavier Domènech, einer der engsten Vertrauten Ada Colaus. Die Bürgermeisterin von Barcelona hatte versucht, Madrid und die mittlerweile abgesetzte Regierung Kataloniens zum Dialog zu bewegen. Vergebens.
Bei den Wahlen wird sich zeigen, ob zwischen Unabhängigkeit und Zwangsmaßnahmen Platz ist. En Comú und Podemos verlangen ein Referendum über die Zukunft Kataloniens in beiderseitigem Einverständnis. Pablo Iglesias, Ada Colau und Xavier Domènech lassen keinen Zweifel daran, dass sie für den Verbleib in Spanien wären. Das scheint sich nicht auszuzahlen: Umfragen des staatlichen Meinungsforschungsinstitutes CIS von Dienstag zeigen, dass Podemos im Laufe der Katalonienkrise deutlich an Zustimmung verloren hat.
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