Schlagende Argumente

Polizeigewerkschaft gegen Deutsche Fußball-Liga: über das Ritual eines inszenierten Streits

Es ist das immer gleiche Spiel. Gerät ein Fußballmatch außer Kontrolle wie zuletzt die Partie von Hansa Rostock gegen den FC St. Pauli, genauer: geraten Fans und Polizei heftig aneinander, gibt es Verletzte auf beiden Seiten, Verhaftungen und zündende Fernsehbilder, dann beschwert sich die Polizeigewerkschaft, so gehe es nicht weiter. Die Klubs müssten sich endlich an den Kosten beteiligen. Die Deutsche Fußball-Liga antwortet reflexartig, dies sei nur populistische Stimmungsmache, damit diskreditierten die Polizeigewerkschaften sich selbst. Und außerdem hätten die Bundesligaklubs das gleiche Recht wie alle: Die Polizei müsse ihren Dienstverpflichtungen nachkommen und die Ordnung herstellen, koste es, was es wolle.

Beide Seiten haben keine schlechten Argumente. Die Fußballeinsätze kosten den Steuerzahler viel Geld. Etwa 150 Millionen Euro kommen zusammen. Von 127 Großeinsätzen im vergangenen Jahr entfielen allein 40 Prozent auf den Fußball. Nach den Zahlen der Polizeigewerkschaft mussten Polizisten in der Saison 2007/08 rund 1,4 Millionen Arbeitsstunden für die Fußballklubs leisten. „Das entspricht der Jahresarbeitsleistung von etwa 1.070 Polizisten“, sagt Gewerkschaftschef Wendt. In dieser Rechnung sei die dritte Profiliga noch gar nicht berücksichtigt. Es müsse Schluss sein damit, dass die Bürger mit ihrem Steuergeld für Fußball-Millionäre zahlten, fordert Wendt. Er beklagt darüber hinaus die hohe Erwartungshaltung der Klubs. Tatsächlich haben sie sich an Subventionen von öffentlicher Hand gewöhnt. Die Klubs werden nicht selten mit Steuergeld gepäppelt. Städte beteiligen sich beim Stadionbau oder retten einen Verein – wie zuletzt den FC Schalke 04 – mit Sponsormillionen des kommunalen Energieversorgers. Warum sollten die verwöhnten Klubs also für Polizeieinsätze zahlen, wenn sie doch schon die Kosten für den Sicherheitsdienst im Stadion verbuchen müssen? Ist das wirklich zumutbar?

Die Deutsche Fußball-Liga führt an, dass der Fußball bei Bundesliga- und auch bei Länderspielen in beachtlicher Höhe Steuern zahle. Die 36 Profiklubs haben in der Saison 2007/08 insgesamt 665 Millionen Euro ans Finanzamt überwiesen. Damit seien auch die Kosten für Polizeieinsätze abgegolten und die Forderung der Polizeigewerkschaft, die Bundesligaklubs sollten sich mit einer Saisonpauschale zwischen 50 und 75 Millionen Euro an den Einsätzen beteiligen, vom Tisch. Und an leeren Stadien, also dem Aussperren der Fans, könne ja nun auch niemand interessiert sein. Sagen die Ligalobbyisten.

Das ist richtig. Denn die Fans haben eine untergeordnete, aber nicht minder wichtige Funktion im kommerziellen Getriebe der Liga. Der Fußballfan darf als Statist das Stadion behübschen, und diese Rolle soll er bitte schön brav erfüllen. In den modernen Arenen taugen die Fans oftmals nur noch als Kulisse. Das macht sich gut im Fernsehen. Niemand will halbleere Ränge sehen. Erlaubt sind Fangesänge und das Abrennen von Wunderkerzen, viel mehr nicht. Vor allem die Ultragruppierungen fühlen sich im videoüberwachten Stadion wie in einem Käfig. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass sie vor der Arena ausbrechen aus der Rolle des Statisten. Drinnen haben sie den gegnerischen Klub verbal bekämpft. Draußen, vor den Toren der Arena, findet der Kraftzweikampf seine Fortsetzung. Jetzt ist es vor allem die Polizei, auf die sich der Hass richtet. Sie wird bekämpft wie ein Erzfeind. Die Ultras sehen es sportlich und nehmen billigend in Kauf, dass sie Gesetze übertreten. Es gehört zu den Männlichkeitsritualen der Szene dazu.

Verhalten sich die Fans nicht wohlfeil und wie es die Fußballmacher von ihnen verlangen, dann dürfen sie keine Fans mehr sein. Sie werden dann ganz schnell zu „Idioten“, „Unbelehrbaren“ – und Fans dürfen sie nur noch in Anführungszeichen sein. Es handelt sich um eine Strategie der Ausgrenzung. Diese Fans will man heraushalten aus den familienfreundlichen Arenen, dabei sehen sich gerade die Ultras als echte Fußballfans, die ihrer Obsession Zeit und Herzblut opfern. Sie verachten jene, die nur mit halbem Herzen an ihrem Verein hängen und allenfalls durch die Eventisierung des Fußballs in die Arenen gelockt worden sind.

Auch dieser Widerspruch lässt sich nicht auflösen, nicht solange der Fußball als Kulturgut gehandelt wird. Es läuft also auf ein Arrangement hinaus zwischen Polizei, der Liga und den Fangruppen. Jede Seite hat schlagende Argumente, die sie dann und wann ins Feld führt.

MARKUS VÖLKER