berliner szenen
: Das Leben ist ein Wartesaal

Schlange stehen. Das ist eines meiner solidesten Hobbys. Ich übe täglich – bei der Ärztin, beim Bürgeramt, bei Kaufland, bei der Post. Obwohl – heute bei der Ärztin, das war keine Schlange. Im Flur vor dem Sprechzimmer, da saßen wir eher aufgereiht wie die Hühner.

Letztens habe ich meinen Tag direkt mit einer Schlange begonnen – beim Bürgeramt. Um 7 Uhr war ich da, um 8 Uhr machte es auf und schon um 9 Uhr hatte ich einen Termin. Das Passfoto, welches ich um 6.30 Uhr im Automaten schießen ließ, sieht entsprechend, na ja, sagen wir, düster aus.

Nun, nach meinem Arztbesuch, bin ich wieder Teil einer dieser menschenköpfigen Schlangen – bei Kaufland. Eine nervöses Kribbeln kommt in mir auf. Geduld bewahren, sage ich mir, dass bringt dich weiter. Mein Blick beginnt umherzuwandern und ich betrachte die anderen Schlangenköpfe. Die Frau mit dem modischen Kopftuch. Den zerzausten und müden Wuschelkopf gegenüber. Den Papa mit den zwei Kindern. Die Frau mit dem akkurat geschnittenen Pony und dem fetzigen blauen Lippenstift. Ist doch interessant hier, sage ich mir. Da ist das Schlangenmitglied vor mir an der Reihe. Vor ihm auf dem Fließband liegen ein Laptop, zwei Wodka und drei Flachmänner. „Die Bankkarte geht nicht“, sagt die Kassiererin. „Scheint gesperrt zu sein.“ „Oh, dann muss ich später wiederkommen“, sagt er überrascht und geht. Scheiße, das ist blöd gelaufen, denke ich.

Ich gehe weiter zur Post. Schlange stehen, na klar. Was sonst? Mich überkommt kein nervöses Kribbeln mehr, ich versinke in den apathischen Zustand langen Rumstehens.

Auf dem Weg nach Hause laufe ich an der Bank vorbei, schaue durch das große Schaufenster und sehe eine Schlange, die sich in Kurven durch den Raum windet. „Ha, die Schlange könnt ihr ohne mich machen!“, denke ich. Diesmal gehe ich weiter. Uta Chotjewitz