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: „Children of the Revolution“ von Peter Duncan / Stalins Sohn

Was wäre gewesen wenn Hitler den Krieg gewonnen, oder Stalin einen Sohn gehabt hätte ? Der britische Schriftsteller Richard Harris hat über diese Szenarien die Bestseller „Vaterland“ und „Archangel“ geschrieben, doch beide wurden in anderen Fiktionen viel konsequenter durchgespielt: Philip K. Dick schrieb schon in den 50er Jahren den Roman „Das Orakel vom Berg“ über ein von den Nazis und Japanern regiertes Amerika, und nun kommt endlich der 1997 gedrehte Spielfilm „Children Of The Revolution“ in ein Bremer Kino, in dem ein in Australien aufgewachsener Nachkömmling des kommunistischen Diktators sein Heimatland an den Rand eines Staatstreichs bringt: „Die Regierung beschuldigt einen Mann“ hört man einen Fernsehkommentator sagen, „er gibt seiner Mutter die Schuld!“

Und diese ist das tatsächliche Monster dieses Films, auch wenn F. Murray Abraham als Stalin ähnlich intensiv, abstoßend und erschreckend den Despoten gibt wie Bruno Gans seinen Hitler. Aber alle Szenen mit ihm werden im Stil einer satirischen Farce gespielt, die in einer Musicalnummer gipfelt, bei der Stalin mit seinen drei Pappkameraden Chruschtschow, Beria und Malenkow „I Get A Kick Out of You“ von Cole Porter singen und tanzen. Wirklich bange kann einem dagegen bei der australischen Kommunistin werden, die nicht umsonst Joan heißt und 1949 wie eine heilige Jungfrau in Sydney für die Weltrevolution kämpft. Sie liebt nur den stählernen Führer, und dies schreibt sie ihm auch jede Woche in Briefen, die so inbrünstig sind, dass schließlich Joseph Stalin selber auf sie aufmerksam wird, sie zu sich nach Moskau holen lässt und schwängert. Ihr Leben lang bleibt sie eine unverbesserliche Stalinistin, und sie wird von Judy Davis so verbiestert, humorlos und fanatisch verkörpert, dass man die Courage der Schauspielerin, sich so unsympathisch und unschmeichelhaft zu zeigen, nur bewundern kann. Und sie wirkt auch bei ihren schlimmsten Tiraden gegen die Welt authentisch. Der Tonfall, die Argumentationen, die Details stimmen - denn der Regisseur Peter Duncan erzählt hier von seiner eigenen Kindheit, in der er unter einem strengen stalinistischen Großvater leiden musste.

Darum ist wohl auch Stalins Sohn Joe mit soviel Mitgefühl und Sympathie gezeichnet. Während seine Mutter gegen den Polizeiterror wettert, verliebt er sich ausgerechnet in eine strenge Polizistin in Uniform, und auch wenn er später als ein „geborener Machtmensch“ manipuliert, seine Gegner eliminiert und in Verfolgungswahn versinkt, wirkt er wie ein Verfluchter, der sich so gut wie möglich gegen den eigenen Charakter aufzulehnen versucht. In solchen Momenten ist der Film, der als politische Komödie irgendwo zwischen Allens „Zelig“ und Wilders „Eins, Zwei, Drei“ angesiedelt ist, dann wieder erstaunlich anrührend. Dies liegt wohl auch daran, dass der weitgehend unbekannte Richard Roxburgh in der Rolle des Joe bei den familiären Szenen Unterstützung durch einige der besten australischen Schauspieler erhält. Rachel Griffith spielt seine Frau, und mit Sam Neill und Geoffrey Rush hat er gleich zwei australische Ersatzväter. Die drei spielen so subtil und ambitioniert, als wäre dies kein historischer Witz sondern ein Stück von Tschechow. So wechselt der Film ständig zwischen Satire und Familiendrama, Karikatur und psychologischer Nuance, historischer Revue und Entwicklungsroman. Ein typischer Debütfilm also, in den der Regisseur unbedingt alles hineinpacken will, was er kann. Und dennoch verliert Peter Duncan nie den erzählerischen Faden, und überrascht bis zum Schluss sein Publikum mit seinen Geschichten darüber, was gewesen wäre, wenn....

Wilfried Hippen