Prekäre Kunst

Bremen hat eine neues Magazin: das „Eselsohr“. Was als Mini-Job für „kreative Aktivisten“ begann, endet als Kunstprojekt einer Pariser Architektengruppe, die sich als „kritische Urbanisten“ verstehen

Angefangen hat alles mit 6,50 Euro pro Stunde. Ein Stellenangebot, ausgeschrieben für „kreative Aktivisten“. Ein Mini-Job in der Gesellschaft für Angewandte Kunst (GAK). Und der Auftakt eines Projektes der Pariser Künstlergruppe „atelier d‘architecture autogérée“ (aaa) – ein Beitrag zur Ausstellung „Kunst findet Stadt. A Lucky Strike“. Die Idee: „Eine Zeitung für urbane Kritik“. Herausgekommen ist ein „Eselsohr“. Kein poliertes Hochglanzmedium im Vierfarbdruck, sondern 16 Seiten Magazin im DINA3- Format. Viel Text, sparsam bebildert. Auflage: 1.000 Exemplare.

Entstanden ist es in den Räumen der GAK auf dem Teerhof, dort, wo sonst die Ausstellungen statt finden. Die Wahl des Redaktionsortes beantwortet auch die Frage nach dem künstlerischen Aspekt dieser Zeitung, findet Horst Griese, einer der Kuratoren der GAK-Ausstellung: „Unter anderen Bedingungen wäre ein solches Ergebnis nicht möglich gewesen“. Auch die Zusammensetzung der Redaktion sei ein Zeichen von Kunst, sagt Griese. Hier wurde keiner ausgesucht. Wer eine Idee brachte, durfte bleiben.

14 Menschen fühlten sich berufen, eine Woche saßen sie unter der Regie der „aaa“ in der GAK zusammen. Neben einer Kunststudentin fanden sich hauptsächlich Sozialwissenschaftler und Architekten ein – fast nur Männer, ausschließlich AkademikerInnen. Allesamt leben derzeit in „prekären“, also unsicheren Arbeitsverhältnissen. „Prekär“ ist denn auch eines Schwerpunkthemen. Und unter dem Eselsohr auf der ersten Seite findet sich erst einmal die Begriffsdefinition wieder.

Innendrin geht es dann aber weniger um die prekäre Arbeit als solche, als um deren Auswirkungen auf die Stadt. Gemeinsam ist den Autoren dabei vor allem eines, sagt Mathias Kuhlmann: „Wir ordnen uns nicht dem Mainstream zu.“ Und so bringt Kathrin Waldeck ihre Gedanken zu Waschsalons zu Papier. Ein halb-offenen Raum, der diejenigen oute, die sich nichts eigenes leisten könne, zugleich aber auch die Charakterzüge der NutzerInnen offenbare. Ein paar Seiten weiter klagt Ananda Pitt den Tabak- und Alkoholkonsum im eigenen Wohnviertel an. Und Kuhlmann geißelt den Space Park als „Mahnmal des Größenwahns“, indem er ihn mit dem kleinteiligen Gröpelinger „Urban“-Projekt der EU vergleicht.

Jetzt möchten die MacherInnen des Eselslohrs selbst von der EU gefördert werden. Denn mit dem Preis von fünf Euro lassen sich im Rahmen der Ausstellung nur zwei Ausgaben bezahlen. Mitautor Stefan Mäder räumt dem Projekt eine Überlebenschance von 15 Prozent ein, schließlich gebe es „keinen Markt“ für eine solches Magazin. Und für wen es gedacht ist, ist auch unklar. Aber Kunst, sagt Kathrin Waldeck, „arbeitet nicht für eine Zielgruppe“. Jan Zier