Kito Nedoschaut sich in Berlins Galerien um:
Für die New Yorker Malerin Alice Neel (1900–1984) fielen die prägenden Jahre als Künstlerin mit der Weltwirtschaftskrise und der Großen Depression in den USA zusammen. Der Kampf ums Überleben bestimmte das Leben in den Dreißigern. New York – das zeigt die großartige Ausstellung „The Great Society“ bei Aurel Scheibler – erscheint in ihren Bildern aus dieser Zeit als eine gräulich-dunkle Stadtlandschaft, durch die sich gebeugte, ausgemergelte Gestalten schleppen. Als politisch links stehende Künstlerin hielt Neel auch frühe antifaschistische Demonstrationen fest, etwa in „Nazis Murder Jews“ (1936). „In der Politik und im Leben war ich immer für die Verlierer, die Underdogs. Den Geruch von Erfolg mochte ich nie. Das implizierte immer eine gewisse Art von Konformität“, erklärte die Künstlerin einmal ihren Widerwillen gegenüber der Macht und dem Status quo, der hier greifbar wird (bis 13. 1., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Schöneberger Ufer 71).
Nonkonformität und Machtskepsis darf auch das Werk von Hans Ticha für sich beanspruchen. Einen Teil davon stellte der 1940 geborene Maler und Illustrator zu Zeiten der DDR wohlweislich nicht öffentlich aus. Ticha malte „Klatscher“ – hohlköpfige, klatschende Anzuggestalten aus der Froschperspektive – und machte sich so über das im Osten weit verbreitete Beifallspenden für Potemkin’sche Dörfer, also nicht existente Erfolge, lustig. Andererseits erreichte Ticha als Illustrator ein Riesenpublikum: Die 1987 erschienene, von ihm illustrierte ostdeutsche Ausgabe von Karel Capeks Roman „Der Krieg mit den Molchen“ wird bis heute als ein buchgestalterisches Meisterwerk geschätzt. Umso rätselhafter erscheint die Konzeptlosigkeit, mit welcher in der Galerie Läkemäker Tichas Malereien, Zeichnungen und Objekte aus den 70ern bis in die Gegenwart zusammengewürfelt werden (bis 11. 11., Mi.–Fr. 14– 18, Sa. 11–14 Uhr, Schwedter Str. 17).
Wie aus einem Guss erscheint hingegen die Ausstellung von Stephan Dillemuth bei Nagel/Draxler, die frühe Gemälde mit neuen Skulpturen kombiniert. Zur Schlüssigkeit trägt eine Spiegelfolie bei, die Dillemuth an allen Raumwänden bis unter die Decke befestigte. So erscheint der Ausstellungsraum einerseits endlos erweitert, andererseits erscheint die Schau wie in eine Art terminatorhafte Quecksilber-Opazität getaucht. Dazu passen dann auch die verwirrenden, schwer verdaulichen Dillemuth’schen Gips-Abguss-Skulpturen, in denen sich Tier-, Mechanik-, Design- und Menschenformen sowie zerbrochene Chinarestaurant-Dekorvasen unentwirrbar verknäulen (bis 4. 11., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Weydingerstr. 2/4).
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