unterm strich
: „Hänsel und Gretel“ in Stuttgart: Premiere ohne Regisseur

Bei der Uraufführung von Aribert Reimanns neuer Oper „L’invisible“ nach drei Szenen von Maurice Maeterlinck am letzten Sonntag trugen der russische Regisseur Vasily Barkhatov, die russische Kostümbildnerin Olga Shaishmelashvili und der weißrussische Bühnenbildner Zinovy Margolin beim Schlussapplaus T-Shirts mit dem Konterfei des in Moskau in Untersuchungshaft sitzenden Regisseurs Kirill Serebrennikow. Das erinnerte an die Kolleginnen und Kollegen in der Redaktion mit ihren „Free Deniz“-T-Shirts und ließ einen darüber nachdenken, was für traurige Zeiten das doch sind, wo in Theatern und Zeitungsredaktionen solche Kleidungsstücke zunehmend an der Tagesordnung sind.

Nächsten Sonntag wird nun in Stuttgart die Oper „Hänsel und Gretel“ Premiere haben, unter der Regie von Kirill Serebrennikow, der freilich weiter in Moskau festsitzt. Hoffnung, dass der in Russland und im Westen gefeierte Theatermacher seine Heimat verlassen darf, gibt es aber kaum noch. Obwohl Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zuletzt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wegen der kulturpolitischen Bedeutung dieses Falls „von europäischer Dimension“ um Unterstützung bat. Serebrennikow sei ein „Sinnbild für die engen kulturellen deutsch-russischen Beziehungen“, sagte Kretschmann. Er lud Merkel zur Premiere nach Stuttgart ein.

Dort will die Staatsoper die Neuinszenierung vor allem auch dazu nutzen, um auf das Schicksal des Künstlers aufmerksam zu machen. Die Leitung der Staatsoper hält – wie viele Kulturschaffende in Russland – das Verfahren für politisch motiviert. Die Stuttgarter sehen darin einen Versuch, den gesellschaftskritischen Regisseur einzuschüchtern und in seiner künstlerischen Freiheit zu beschränken.

Opernintendant Jossi Wieler und das Produktionsteam wollen am Mittwoch vor Medienvertretern zum ersten Mal den Rohschnitt eines Werks der Filmakademie Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit dem Südwestrundfunk (SWR) über die ungewöhnliche Produktion vorstellen. Gezeigt wird die Dokumentation „Der Fall Serebrennikow. Wie die Stuttgarter Oper mit ,Hänsel und Gretel‘ für die Freiheit der Kunst kämpft“. Die Filmemacherin Hanna Fischer hatte das Projekt Serebrennikows monatelang begleitet.

Im Mittelpunkt der Bühnenproduktion steht ein abendfüllender Spielfilm Serebrennikows. Er erzählt das Märchen „Hänsel und Gretel“ im Kontext der Globalisierung – am Schicksal von zwei afrikanischen Kindern aus Ruanda, die auf der Suche nach dem Glück in die Welt des Konsums gelangen. Der Premierenabend trägt den Untertitel „Ein Märchen über Hoffnung und Not, erzählt von Kirill Serebrennikow“. Das Staatstheater will es Serebrennikow nach seiner Freilassung noch ermöglichen, das Werk selbst komplett zu inszenieren.