Kein Grund zur Sorge

„You can’t keep a good man down“: Heute läuft zum letzten Mal die Talkshow „Fliege“ (15.00 Uhr, ARD). Zum Ende des „Trostfernsehens“ zeigt sich aber selbst Jürgen Fliege kaum wehmütig

VON PEER SCHADER

Jürgen Fliege ist nicht gerade der beliebteste Moderator im deutschen Fernsehen, nicht jedenfalls bei den Kritikern. Aber was soll’s – vergessen wir einfach mal all das, was man ihm nach zwölf Jahren Nachmittagstalk so alles vorwerfen könnte. Dass er bei seinen TV-Tröstungen stets unbehaglich nah an die Menschen herangerückt ist, die ihm in der Öffentlichkeit ihre intimsten Probleme anvertraut haben. Dass vieles von dem, was Fliege sagt, künstlich wirkt, weil es so dick in Pathos eingewickelt ist, dass es einen schüttelt beim Zuhören. Und dass er sich selbst so genau in Szene zu setzen weiß, dass man nie ganz sicher sein kann, ob man das als Arroganz werten muss oder ob er bloß seinen Job gut macht.

Kurz gesagt: Man muss Jürgen Fliege nicht mögen. Aber es bricht einem ja auch kein Zacken aus der Krone, wenn man ihn ausnahmsweise mal genauso ernst nimmt wie sein Publikum. Heute läuft seine Talkshow zum letzten Mal, weil die ARD den Sendeplatz Ende des Monats mit der Telenovela „Sturm der Liebe“ aufhübschen will. „Sie müssen sich jetzt aber keine Sorgen um mich machen“, sagt Fliege am Telefon. „Die Leser der taz machen das wahrscheinlich ja auch nicht.“ So ist das nun mal, nach zwölf Jahren TV-Erfahrung. Man weiß, wer einem wohl gesinnt ist und wer nicht. Aber Fliege will nicht kleinlich wirken: „Ich lese mir auch die Verrisse durch und frage mich dann: An welcher Stelle hat jemand, der mich kritisiert, Recht und an welcher Stelle nicht.“

Er selbst spart ja auch nicht mit Kritik. In der vergangenen Woche war in den Zeitungen zu lesen, Fliege schimpfe auf ARD und ZDF, weil die bloß noch damit beschäftigt seien, sich in ihrem Jugendwahn gegenseitig im Weg zu stehen, und darüber ganz in Vergessenheit gerate, dass auch das Publikum jenseits der 60 noch Gebühren zahle und dafür ein gescheites Programm verlangen könne. Das klang zornig. Fliege aber sagt: „Ich habe keinen Zorn gegenüber der ARD.“ Es gehe ihm nicht darum, für den Erhalt seiner Talkshow zu kämpfen – trotz all der Proteste der Zuschauer, die an ihn und den Sender geschrieben haben, manchmal auch einfach an die Redaktion ihrer Programmzeitschrift, die mit der ganzen Angelegenheit natürlich nichts zu tun hat. Die Senioren-Union hat protestiert. Altenheime haben Unterschriften gesammelt. Sogar eine kleine Demonstration vorm ARD-Hauptstadtstudio gab es. „Es ist wunderbar, dieses Engagement zu sehen – aber man denkt dann: Hättest du eigentlich auch kämpfen müssen?“

Nein, beantwortet sich der 58-Jährige die Frage selbst: „Gerhard Schröder, der genauso alt ist wie ich, muss kämpfen. In politischen Dingen muss man kämpfen. Aber nicht, wenn man ein spiritueller Mensch ist und anderen beizubringen versucht, das Leben auch so zu akzeptieren, wie es kommt. Ich hatte das Gefühl, nach so vielen Jahren kann ich die Entscheidung der ARD akzeptieren.“ Dass der Sender mit „Fliege“ aber gleich das ganze Genre „Trostfernsehen“ abschaffe, wie er es nennt, das nimmt der Fernsehpfarrer den Programmplanern dann schon übel: „Das ist ein entscheidender Fehler. Die Gesellschaft wird älter – und ARD und ZDF pokern um die Quoten.“ Es könne doch nicht sein, dass am Nachmittag bald drei oder vier Telenovelas liefen. Und dann scherzt er: „Mit der Einführung des Flachbildschirms müssen ja nicht zwangsläufig auch die Programme flacher werden.“

Kein Zorn? Keine Enttäuschung? Nicht mal Erschöpfung, nach all dem Hin und her mit der ARD? Irgendwie nimmt man das Fliege nicht ab. Aber er beharrt darauf: „Ich brauche keine Pausen. Ich bin im Sternzeichen des Widders geboren. You can’t keep a good man down.“ Da ist es wieder, das Pathos. In den nächsten Wochen kümmert Fliege sich erst einmal um seine anderen Projekte. Es gibt eine Zeitschrift, die seinen Namen trägt, und eine Fliege-Stiftung, die Bedürftige unterstützt. 11 Millionen Euro seien seit 1995 von Zuschauern gespendet worden, sagt der Moderator und erklärt. „Die Stiftung ist am meisten gefährdet. Wir müssen uns jetzt völlig neue Akquisemodelle überlegen.“

Auch bei Fliege – Die Zeitschrift wird sich vieles ändern müssen. Bisher haben bloß einige freie Redakteure die Themen der Sendung noch einmal in Artikeln zusammengefasst und mit reichlich Jürgen-Fliege-Abbildungen illustriert, was ein bisschen dröge wirkt, aber laut Fliege 20.000 Abonnenten und noch einmal 60.000 Kioskkäufer angelockt hat. Eine im wahrsten Sinne des Wortes fantastische Zahl für ein Lebenshilfe-Heft. Jetzt müssen Themen eigenständig recherchiert werden. Matthias Gülzow, Geschäftsführer des für das Heft gegründeten Fliege-Verlags, ist jedoch zuversichtlich: „Wir glauben, dass es schwieriger wird, aber es gibt keinen Grund dafür, die Zeitschrift einzustellen.“