berliner szenen: Der Trick mit der Brezel
Kurz vor 16 Uhr, ich stehe in der Schlange einer Bäckerei in der Kreuzberger Diefenbachstraße. Sie liegt auf dem Weg zur Kita meines vierjährigen Sohns.
Mein Sohn hat noch nie geweint, wenn ich ihn dort morgens abgegeben habe. Aber er ist sehr sensibel, wenn es darum geht, wie er nachmittags aus der Kita abgeholt wird. Wutausbrüche, Tränen und Bisswunden – auf beiden Seiten – sind nicht selten die Folge eines missglückten Versuchs. Ich habe inzwischen schon allerlei ausprobiert und bis jetzt gelingt mir nur ein Trick immer: der Schokodonut. Es klingt einfach und ist es auch, aber nur, wenn man um Viertel vor vier in Kreuzberg einen Schokodonut findet. Heute scanne ich gleich den Tresen, nachdem ich mich angestellt habe. Mist, die Schokodonuts sind bereits ausverkauft!
Der Mann vor mir ist jetzt an der Reihe. „Ich hätte gerne einen Schokodonut“, sagt er laut und deutlich. Mist, habe ich den letzten Schokodonut etwa übersehen? „Hamwa nich“, sagt die Verkäuferin. „Ich sage ja auch nur: „Ich hätte gerne einen Schokodonut“, sagt der Mann und schaut mich vielsagend an. Ach so, denke ich. Noch ein Verzweifelter. „Was nehme ich stattdessen?“ Er überlegt und sagt dann: „Eine Breze und eine belgische Waffel. Aber bitte in getrennten Tüten.“
Dann schaut er zu mir und sagt: „Das ist mein Trick, wenn es keine Schokodonuts gibt: Erst gebe ich meinem Sohn die Tüte mit der Breze. Die will er mir an den Kopf werfen, weil er ja eigentlich einen Schokodonut will, und dann hole ich als Überraschung die Waffel aus der Tasche. Klar, eine Waffel ist kein Schokodonut, aber besser als eine Breze ist sie allemal.“ Er schaut mich und die Verkäuferin triumphierend an.
„Ihrem Sohn würde ich überhaupt nichts mehr mitbringen“, sagt die Verkäuferin. „Habe ich lange für gebraucht, diesen Trick zu entwickeln“, sagt der Mann, steckt beide Tüten in die Tasche und verlässt den Laden.
„Ich nehme das Gleiche“, sage ich. Mareike Barmeyer
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