die woche in berlin
: Der Vorschlag, Obdachlose aus Osteuropa abzu­schieben, ist an sich natürlich gaga

Das Menschen Museum verhüllt seine Objekte in Goldfolie, der Sonderermittler im Fall Amri arbeitete effizient, im Foxhole Hostel in Neukölln werden schlafende Gäste geräumt, und Mittes Bezirksbürgermeister wird zum Grünen mit den markigen Sprüchen

Antje Lang-Lendorff überObdachlose im Tiergarten

Auch Touris geht es an den Kragen

Hostel-Räumung in Neukölln

Es ist fast verwunderlich, dass Berlins Boulevardpresse diese Woche nicht vom „Touri-Skandal in Neukölln“ berichtete. Dabei wäre es nicht mal gelogen gewesen, wenn dort gestanden hätte: „Grüner Stadtrat lässt Touristen am frühen Morgen aus ihren Betten schmeißen und schließt Hostel.“ Bestimmt hätten sich auch ein paar empörte Stimmen gefunden, voll Angst um Berlins Ruf und die Ein­nahmen der Tourismushoch­burg. Sogar die notwendigen Bilder für die Story hätte es gegeben, vom Hausbesitzer unverfroren auf Twitter verbreitet: Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Polizisten und Ordnungsamtsmitarbeitern zwischen den Hochbetten der schlafenden Gäste.

Dass es derartige Meldungen nicht gab, hängt womöglich damit zusammen, dass die amtliche Schließung des Fantastic Foxhole Hostel in der ­Weserstraße derart berechtigt war, dass man schon arg einen an der Klatsche haben müsste, um sie zu kritisieren. Mehr als ein halbes Jahr verfuhren Hausbesitzer und die beiden Hostelbetreiber nach dem Motto „Dreistigkeit siegt“: Schon im April, kurz nach Eröffnung der 33-Betten-Herberge im Hinterhaus, mahnte der Bezirk die Schließung an – eine Genehmigung für einen Hotelbetrieb lag nicht vor. Zwei Gerichtsurteile später verdienten die dreisten drei noch immer an den Touris im Partykiez.

Dass Baustadtrat Jochen Biedermann (Grüne) dieses Treiben nun beenden ließ, ist also politisch zwingend. Gerade in einer Gegend, in der die Verdrängung allgegenwärtig ist und der alternative Kiezladen Friedel54 erst im Juni von Hunderten Polizisten geschlossen wurde. Wenn auch spät, so ist die Räumung des Hostels ein Zeichen dafür, dass es nicht ausschließlich den Armen oder politischen Aktivisten an den Kragen geht, sondern sich auch die Kapitalistenklasse nicht alles erlauben darf.

Erik Peter

Der Boris Palmer von der Spree

Obdachlose im Tiergarten

Die Berliner Grünen gelten bundesweit als Landesverband, der links tickt. In letzter Zeit arbeitet allerdings einer konsequent gegen dieses Image: Stephan von Dassel, seit einem Jahr Bürgermeister von Mitte, schlug erst ein Alkoholverbot auf dem Leopoldplatz vor, dann forderte er ein Verbot von Prostitution nahe der Kurfürstenstraße. Und nun die Abschiebung von osteuropäischen Obdachlosen aus dem Tiergarten – was diese Woche für heftige Diskussionen sorgte.

Warum sagt von Dassel so etwas? Will er unbedingt der Boris Palmer von der Spree werden?

Stephan von Dassel versteht sich selbst vor allem als Pragmatiker. Er sagt, es gehe ihm um Lösungen. Er begreift sich als Anwalt der Menschen in seinem Bezirk, als Anwalt seiner Mitarbeiter, die mit den Obdachlosen vor Ort zu tun haben. Wenn die Leute sagen, dass eine Situation nicht mehr erträglich sei, hält er es für seine Aufgabe, Alarm zu schlagen.

Sein Vorschlag, osteuropäische Obdachlose abzuschieben, ist an sich natürlich gaga. Ausweisungen von EU-Bürgern sind nicht praktikabel. Entweder die Leute lassen sich freiwillig wegkarren, so geschehen in Neukölln –, oder es bedarf eines langwierigen Verfahrens. EU-Ausländer haben zudem das Recht, sich innerhalb der Union frei zu bewegen, auch Ausgewiesene können also jederzeit wiederkommen. Gerade der Pragmatiker Stephan von Dassel weiß all das natürlich.

Trotzdem stellt er die Forderung nach Abschiebungen in den Raum – weil ihm die Aufmerksamkeit gewiss ist. Zahlreiche Medien berichteten. Prompt nahm der Senat das Thema Tiergarten am Dienstag auf, er rief eine Taskforce für den Park ins Leben, stellte mehr Geld für Personal und mehr Polizeikontrollen in Aussicht.

Über den Umweg der öffentlichen Debatte erreicht Stephan von Dassel also tatsächlich eine Veränderung vor Ort. Den Preis, den er dafür bezahlt: Er muss sich vorwerfen lassen, ordnungspolitischer Hardliner zu sein, ein Populist, fremdenfeindlich gar. Er wird zu dem Grünen mit den markigen, unsachlichen Sprüchen. Wobei: Vielleicht empfiehlt man sich als Grüner auf diese Weise gar für Höheres? In Zeiten von Jamaika ist das nicht auszuschließen. Antje Lang-Lendorff

Museum unter Beschuss

Bezirk mit pietistischer Moral

Ist das wirklich schön? „Faszinierende Einblicke in den menschlichen Körper“, so bewirbt die Crew um Plastinator Gunther von Hagens die Exponate ihres „Menschen Museums“ unterm Fernsehturm. Gerade musste sie einen Großteil der haltbar gemachten menschlichen Körper verhüllen, um einer Schließungsverfügung zuvorzukommen: Das Verwaltungsgericht hat die Leichenschau zwar als grundsätzlich zulässig bewertet – aber nur unter der Voraussetzung, dass bei jedem der Körper eindeutig ist, von wem er stammt. Bei den nun von den Museumsmachern unter Protest in Goldfolie eingehüllten „Ganzkörperplastinaten“ war das nicht der Fall.

Um auf die eingangs gestellte Frage zurückzukommen: Man kann die plastinierten Toten ästhetisch finden oder nicht. Der Autor dieses Textes etwa betrachtet nur ungern das durch die Injektion von Kunststoff der Verwesung entzogene Fleisch.

Was aber auch nicht geht, ist die verschwurbelte Kritik, mit der einige Sittenwächter, namentlich die Evangelische Landeskirche, das „Menschen Museum“ zu einer Art Vorhölle deklarieren. Tote zu Objekten zu machen sei mit deren Würde nicht vereinbar, heißt es dann – womit die Moralapostel der leeren materiellen Hülle eines Menschen mehr Rechte einräumen als ebendiesem Menschen, der sich ausdrücklich einverstanden erklärt hat, dass seine Überreste zu didaktischen Zwecken ausgestellt werden.

Nein, die Kirche lässt sich einfach nicht gern in ihr Kernthema Tod hineinpfuschen. Auch wenn es ihre VertreterInnen lieber nicht offen sagen: Die uralte Angst vor der Vergänglichkeit hat der Religion noch immer in die Karten gespielt. Dass irgendjemand das Sterben auf die leichte Schulter nehmen könnte, ist ihr verdammt unheimlich.

Noch problematischer ist, jedoch, dass das Bezirksamt Mitte sich so sehr gegen eine Ausstellung sträubt, die ohne allzu großen Ärger mehrmals um die Welt gereist ist und von Millionen Menschen gesehen wurde. Auch wenn die Körpernachweise alle erbracht sind, will die Behörde dem Museum weiterhin die Wissenschaftlichkeit aberkennen – womit sie ungesetzlich würde.

Eine Stadt wie Berlin sollte sich aber nicht ängstlich an moralische Bedenken klammern, die man vielleicht noch in einem pietistischen Dorf verstehen würde. Höchste Zeit, den nun schon jahrelangen juristischen Streit endlich zu beerdigen. Claudius Prößer

Blaupause für den U-Ausschuss

Abschlussbericht des Amri-Sonderermittlers

Untersuchungsausschüsse des Abgeordnetenhauses sind tatsächlich ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite gelten sie als schärfste Waffe der Opposition, weil es ein Viertel der Stimmen braucht, um einen solchen Ausschuss einzurichten. Auf der anderen Seite erfüllen sie selten die Erwartungen: Oft verlieren sie sich im für die Öffentlichkeit uninteressanten Klein-Klein, ihr Schlussbericht enthält vor allem die Einschätzung der Regierungsfraktionen.

Mit dem seit Sommer tagenden Amri-Untersuchungsausschuss, der sich mit der Arbeit der Sicherheitsbehörden vor dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz beschäftigt, wird das anders sein. Das liegt vor allem an der Vorlage, die Bruno Jost am vergangenen Donnerstag mit seinem Abschlussbericht geliefert hat. Der vom Senat eingesetzte Sonderermittler befasste sich ein halbes Jahr lang ebenfalls mit den Pannen der Arbeit der Polizei im Umgang mit dem späteren islamistischen Attentäter Anis Amri.

Jost hat schnell und effi­zient geforscht: Schon nach wenigen Wochen deckte er Aktenmanipulationen bei der Polizei auf. Sein Bericht zeigt nun zahlreiche Fehler der Polizeibehörden. Er kritisiert die Berliner Kriminalpolizei, die Polizei in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, er rügt die schlechte Zusammenarbeit aller Behörden vor dem Terroranschlag am 19. Dezember 2016. Amri hatte in Deutschland unter mehreren Identitäten leben und mit Drogen dealen können; er war als sogenannter Gefährder beobachtet worden. Festgenommen wurde er aber nicht.

Nach Josts über Fraktionsgrenzen hinweg anerkannter Untersuchung steht der Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses unter Druck, ebenfalls Ergebnisse und vor allem Vorschläge zu liefern, wie die Strukturen der Berliner Polizei verändert werden müssen. Und das möglichst schnell: Zwar sind Anschläge solcher fast unberechenbarer Einzelgänger wie Anis Amri schwer zu verhindern. Aber in der aktuellen Debatte um innere Sicherheit muss auch Rot-Rot-Grün zeigen, welche Folgen man aus den Fehlern der Polizei zieht.

Die passierten überwiegend zur Zeit des damaligen Innensenators und CDU-Chefs Frank Henkel. Der ist inzwischen bei seiner Fraktion ohne Einfluss; sein jüngster Fluchtversuch in den Bundestag scheiterte. Die Aufklärung im Parlament könnte also ohne Rücksicht auf noch relevante Politiker geschehen.

Josts Bilanz stärkt zudem die Forderung von Innensenator Andreas Geisel (SPD) an den Bundestag, in der jüngst begonnenen Legislaturperiode ebenfalls einen solchen Ausschuss einzurichten. Ob dafür allerdings der Druck ausreicht, ist noch offen. Bert Schulz