WOHNUNGSBESICHTIGUNG
: Gute Matratze

Es riecht süßlich nach Eierlikör

Wohnungsbesichtigungen sind ein heikles Unterfangen. Erst letztens stand ich ratlos vor einer Klingelanlage, und als ich kurz zurücktrat, um die Fassade emporzublicken, sprang ein übermotivierter Mittvierziger an die Klingel und drückte erneut. Endlich antwortete jemand, allerdings war er kaum zu verstehen: „Im … Stock … Seitenflügel …!“

Gemeinsam mit dem nervös wirkenden Mitwohnungssuchenden betrat ich den Hof, wo er sein Fahrrad anschloss. „Seitenflügel links oder rechts?“, fragte ich ihn, doch er schaute betreten zu Boden. Als ich an ihm vorbei in den richtigen Seitenflügel gehen möchte, versperrt er mir den Weg mit seinem Hinterteil, um nicht als zweiter die Wohnung zu entern. Meist lassen sich solche Fälle durch das freundliche Anbieten einer Faustrecht-Entscheidung klären.

Ganz anders verhält es sich eine Woche später. Die Wohnung ist in einer Top-Lage, der Preis überschaubar, weswegen selbst ich ausnahmsweise mal nervös bin. Von vornherein bin ich bereit, vom Faustrecht Gebrauch zu machen. Aber ich stehe ganz allein vor der Tür. Dort erwartet mich schon die Sekretärin eines Anwaltsbüros, ich hatte bereits mit ihr telefoniert.

Sie öffnet die Tür und der süßliche Duft von Eierlikör und billigem Parfum strömt mir entgegen. Ihren in die Jahre gekommenen Körper hat sie in einen Minirock im Leopardenmuster und eine um drei Knöpfe zu weit geöffnete Bluse gezwängt, mehrere Schichten Farbe lassen ihr Gesicht grotesk erscheinen. Als sie mich an der Hand nimmt und durch die Wohnung führt, bestaunen wir gemeinsam Vorzüge der Wohnung, doch ich bin skeptisch. Das Ganze muss einen Haken haben.

Aber erst als sie sich auf das Bett setzt und mich auffordert, die ausgezeichnete Qualität der Federkernmatratze zu überprüfen, dämmert es mir, dass ich einen Faustkampf vorgezogen hätte. JURI STERNBURG