Leyla Yenirce
Inselstatus
: Warum machen wir einander das Leben nicht ein wenig geschmeidiger?

Foto: privat

Liebe Insel, wo bleibt bloß deine Zivilcourage? Ich bin empört und zutiefst erschüttert. Mag sein, dass ich selber schuld bin. Es ist ja auch ziemlich tollpatschig, noch ehe man in die Pedal tritt, über sein eigenes Rad zu stolpern. Aber so etwas kann einem nun mal passieren. Im besten Falle steht man schnell wieder auf. Oder es stehen Menschen herum und helfen einem dabei.

Ich dachte wenigstens, dass das hier auf der Insel der Fall sei: Als ich nämlich vergangenes Jahr einen Umzug machte und dachte, ich könnte einen Kühlschrank auf einer Sackkarre transportieren, ganz alleine, kamen mir auf Anhieb mehrere Menschen zu Hilfe, und zwei von ihnen trugen mir das schwere Ding sogar bis in die Wohnung. So lobe ich mir das. Was mir aber neulich passierte, hat leider einen langen Schatten auf die Hilfsbereitschaft im Viertel geworfen.

Das Ereignis trug sich mitten auf der Veringstraße zu, als ich mein Rad aufschloss und kurzerhand auf der zweispurigen Straße landete, weil mein Schloss sich in die Speichen verheddert hatte. Die Straße war voller Menschen, das nächste Auto aber glücklicherweise noch weit weg. Und was passierte? Alle haben zugeguckt, aber niemand hat mir geholfen. Da lag ich wie ein weicher, gedellter Haufen, bereit vom nächsten Auto angefahren zu werden – und die einzige Person, die sich nach meinem Wohl erkundete, war ein kleines Roma-Mädchen vom Bürgersteig aus. All die Männer, die vor dem Café gleich nebenan saßen, haben geguckt, aber nur aus Schaulust – nicht etwa, weil sie vorgehabt hätten, mir zu helfen.

Was erzählt das über dich, liebe Insel? Ich möchte dir nicht vorwerfen, dass du rücksichtslos bist, aber manchmal hat man Glück und die Menschen helfen einem – und manchmal hat man Pech und kann nur hofften, dass kein Auto über einen drüber fährt. Ich fand neulich wieder zurück auf mein Rad, aber die Wunde, die die Ignoranz der Passanten und Mitmenschen hinterlässt, ist weitaus größer als die blauen Flecke, die ich davontrug.

Das Leben im urbanen Raum kann ganz schön hart sein, im wahrsten Sinne des Wortes dann, wenn der eigene Schädel auf den Asphalt knallt. Gerade dann wäre es doch umso schöner, wenn wir uns gegenseitig das Aufprallen ein wenig geschmeidiger machen würden, indem die Menschen in einer Nachbarschaft vielleicht nicht gleich fröhliche Großfamilie spielen – aber wenigstens ein bisschen aufeinander Acht geben. Nur mal so, als kleiner Vorschlag für ein erträglicheres Miteinander.

Vielleicht verheilen beim nächsten Mal dann ja sogar die blauen Flecke etwas schneller.

Leyla Yenirce ist Kulturwissenschaftlerin und schreibt wöchentlich aus Wilhelmsburg über Spießer*innen, Linke, Gentrifizierer*innen und den urbanen Wahnsinn in der Hamburger Peripherie.