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Normal, nicht normal, keine Ahnung

Comics, Rätsel, Fotostories gegen das große Maßregeln: Das Kinderbuch „Ich so Du so“ macht Kindern Mut, so zu sein, wie man eben ist

Labor Ateliergemeinschaft:

„Ich so Du so. Alles super normal“. Beltz & Gelberg, Weinheim 2017, 176 S., 16,95 Euro. Ab 8 Jahre

Von Doris Akrap

Als ich im Spätsommer grade mal wieder irgendein im Feuilleton hoch gelobtes deutsches Romandebüt las und mich wahnsinnig langweilte, ging ich zu eBay. Ich hatte Lust, irgendwas zu lesen, was mich unterhielt und mir vielleicht auch noch irgendwas zu sagen hatte.

Vor einiger Zeit wurde ich auf die französische Zeichnerin Catel Muller und ihre ­feministischen Graphic Novels über die Künstlerin Kiki de Montparnasse und die Schriftstellerin Benoîte Groult aufmerksam. Und jetzt erinnerte ich mich an ein ­französisches Kinderbuch, das ich mal der Tochter einer Freundin geschenkt hatte.

Das war so ähnlich wie diese Graphic Novels, aber eben für Leser ab 5 Jahren. Ich bin weit über 8, aber ich kaufte mir trotzdem die gesamte „Mademoiselle Zazie“-Reihe und ich bereue es nicht. Zazie ist ein kleines Mädchen, das zu den „sans-zizis“, der Gruppe „Ohne-Pimmel“ gehört, die aber zu den „avec-zizis“, den „Mit-Pimmel“ gehören will. Zazies Kampf um die Selbstbestimmung ihrer sexuellen Identität, um Emanzipation und Gleichberechtigung sind ein großer Spaß und ich wünschte, Zazie kennengelernt zu haben als ich in ihrem Alter war. Ich verdanke Zazie trotzdem eine der schönsten Lesestunden in diesem Jahr und die Rettung vor der deutschen Langeweile.Auf meinem Schreibtisch landete wenige Tage nachdem ich Zazie ausgelesen hatte ein Buch mit dem Titel „Ich so Du so. Alles super normal“. Schon wieder irgendso ein lustig sein wollendes, aber sehr wahrscheinlich todlangweiliges Werk, das sich Leute in der Bahnhofsbuchhandlung kaufen, wenn die Bunte oder die Superillu grade aus ist, dachte ich zuerst. Ich blätterte trotzdem rein, so schlecht war der Titel ja nicht. Und es war eine große Entdeckung.

Man könnte es die deutsche Variante von Mademoiselle Zazie nennen. Die Witze und Sprüche sind nicht so schlüpfrig und in fast allen Geschichten, die von Jungen und Mädchen, Einwanderern und Außenseitern handeln und die mal als Comic, mal als Rätsel, mal als Fotostory, in Interviews, Ausmal- oder Ausschneideformaten erzählt werden, darf nie die explizite und seriöse pädagogische Message fehlen. Die ist zwar in Ordnung – alle sind normal, keiner ist normal – aber so kriegt das ganze eben diese typisch deutsche, oberlehrerhafte Schlagseite.

Im letzten Teil des Buches werden allerlei Personen danach gefragt, ob sie sich normal fühlen oder nicht. Die schönste Antwort auf die Frage „Was, glaubst du, finden andere an dir nicht normal?“ gibt Marc: „Keine Ahnung.“ Meine Mutter warf mir auch immer gerne vor: „Du bist doch nicht ganz normal.“ Damals dachte ich immer, sie hat Unrecht. Heute weiß ich: Sie hat recht. Hätte ich damals „Ich so Du so“ gelesen, wär’ mir das früher klar geworden.

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