schurians runde welten
: Autisten im Flutlicht

„Wer zum MSV geht, verpasst nichts. Wir bieten alles.“

(Walter Hellmich, Präsident)

Was Fußballfans wählen? Die Frage im Kollegenkreis war mir unangenehm. Schon deshalb, weil mich Fußballfans nervös machen, die wie Veganer, Marxisten-Leninisten oder Jungväter als Gesinnungstäter durchs Leben ziehen. Für Fachjournalisten, Sportler und Funktionäre mag der Fußball zur Lebensform geworden sein – für Zuschauer ist das nichts: Wer im Fanschal das Haus verlässt, seinen Medienkonsum auf Vereinsnachrichten programmiert hat, lebt autistisch wie ein Rollenspieler, der aus seinem verspäteten Kreuzzug nicht mehr heraus kann.

Einen dieser Flüchtlinge aus Zeit und Raum traf ich früher fast täglich in der Bahn mit Lederwams und Kurzschwert, dazu hatte er seine Söhne dabei. Der eine ahmte mit Umhang brav den Mittelaltervater nach, der andere trug einen Ski-Anorak. Was mir zeigte, dass allein das persönliche Umfeld darüber bestimmt, ob eine Klamotte subversiv ist oder nicht: Ist ein rebellischerer Junge vorstellbar?

Ob und was der Fantasyvater in der Schienenbahn am Sonntag wählt, verhüllen die Nebel von Avalon oder Wanne-Eickel. Wahrscheinlich blendet der Schwertträger das Ereignis einfach aus, was ihn mit Fußballfans gemein macht: Die meisten Schlachtenbummler sind sich darin einig, dass Politik im Stadion nichts zu suchen hat: Wer das behauptet, will ohne Skrupel auch mit Nazis jubeln dürfen und sich über Steuerrecht, Gesundheitswesen, Sozialgesetze keine Gedanken machen – wenigstens einmal die Woche, die paar Stunden Fußball!

Nun ist der MSV Duisburg drauf und dran die verabredete Weltvergessenheit des ledernen Mikrokosmos‘ zu erschüttern: Am Sonntag will der Bundesligist seinen Zuschauern gegen Bayer Leverkusen einen ganz besonderen Service bieten: In der MSV-Arena sollen auf der Anzeigetafel Prognosen und Hochrechnungen der vorgezogenen Bundestagswahl eingeblendet werden. Und so hält die Politik sogar als blankeste Parteipolitik Einzug in die Stadionwelt. Wie werden die Fans darauf reagieren? Und was will der MSV Duisburg damit erreichen?

Da Vereinspräsident und Unternehmer Walter Hellmich ein Typ ist, der in der Menge badet, als Bauherr ein Gespür für Menschenmassen und ihre Wünsche haben wird, läutet er nur die neue Zeit ein: Weil die Politik sich längst mit dem Massenkick infizieren ließ, ist es auch umgekehrt. Und die Fans? Das mit den Halbzeitergebnissen kennen sie ja schon. Freue mich schon auf die SPD-Ahs und CDU-Ohs. Und vielleicht verrät der ein oder andere Fangesang, was sie gewählt haben, die Fußballfans. Ich tipp mal: Max Merkel.