Explosive Energie aus der Sektflasche

Das Grubengas wird heute international: Auf einem Kongress wird die Zukunft der einst gefährlichen Energiequelle bejubelt. Der explosive Stoff soll schon bald günstigen Strom liefern. „Ein lohnendes Geschäft“, sagen Experten

BOCHUM taz ■ Klimakiller, Energiequelle und Jobmotor – Grubengas ist vielseitig. Heute diskutieren Experten aus aller Welt auf den vierten internationalen Grubengastagen in Bochum über die Zukunft des unsichtbaren Stoffes. Als ökologische Erblast von Bergwerken bleibt gerade im Ruhrgebiet noch über Jahrzehnte das Grubengas erhalten. Selbst stillgelegte Bergwerke emittieren es. Unter Tage ist das Gas als Ursache für so genannte Schlagwetterexplosionen bei den Bergleuten gefürchtet. Über Tage ist die Mischung aus Methan, Kohlendioxid und Stickstoff ein Klimakiller, etwa um das 21-fache so schädlich wie Kohlendioxid.

Schuld ist der hohe Methananteil. „Deshalb ist es klimapolitisch absolut sinnvoll, die Ausgasungen in Blockheizkraftwerken als Brennstoff zu nutzen“, sagt Clemens Backhaus vom Interessenverband Grubengas in Duisburg. So würde die klimaschädigende Wirkung deutlich verringert. Der Bergbau habe das Gas freigesetzt, das ansonsten im Gestein und in der Kohle gebunden sei. „Das ist wie bei einer Sektflasche, bei der man den Korken gelöst hat“, sagt Ingenieur Clemens Backhaus.

Würde das Gas von sämtlichen alten Bergwerken im Ruhrgebiet genutzt, stünden etwa 180 Millionen Kubikmeter Methan für rund 1,2 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr zur Verfügung, haben ForscherInnen des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen ausgerechnet. „Das ist aber ein theoretischer Wert“, räumt Backhaus ein. In der Praxis ist die Grubengasnutzung komplizierter. Wirtschaftlich ist die Nutzung des Gases erst durch das im Jahr 2000 verabschiedete Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) geworden. Seitdem das EEG die mit Grubengas erzeugte Energie mit festen Preisen vergütet, boomt das Geschäft. Inzwischen ist die Ruhrkohle AG Marktführer im Geschäft mit dem Gas aus den Kohleflözen. Rund 40 Millionen Euro Umsatz kommen so zusammen.

Auf der schon seit 20 Jahren stillgelegten Herner Zeche Mont-Cenis steht ein Blockheizkraftwerk für Grubengas. Die gläserne Fortbildungsakademie auf der ehemaligen Schachtanlage versorgt es mit Strom und Wärme. Vor zwanzig Jahren noch ein kostspieliges Vorzeigeprojekt des Strukturwandels, heute ein lohnendes Geschäft. Deshalb bauen die Stadtwerke Herne in diesem Jahr drei weitere Blockheizkraftwerke. Mit dem Gas aus den Schächten der ehemaligen Zeche Friedrich der Große können 6.000 Haushalte mit Energie versorgt und 80.000 Tonnen Klimagase vermieden werden. Diese Emissionsminderung wollen die Stadtwerke in den internationalen Emissionshandel einbringen. Dem Deal der Herner Vorreiter werden andere Betreiber von Grubengasanlagen folgen wollen. „Aktuell gibt es 70 genehmigte Grubengasfelder, 55 zur Nutzung und 15 zur Erschließung“, sagt Ernst-Günter Weiß, von der Abteilung Bergbau und Energie der Bezirksregierung Arnsberg. Das eine oder andere Feld von zu schließenden Bergwerken werde noch hinzukommen. „Aber viel ist das ja nicht mehr“, fügt er an. In 30 Anlagen würden etwas mehr als 100 Megawatt Strom erzeugt. „So wird der Atmosphäre 2,6 Millionen Tonnen Kohlendioxid erspart“, sagt Backhaus. Zukünftige Geschäfte sieht er aber vor allem im Export der Grubengastechnologien: „In Polen, der Ukraine, in Russland und China geht das Gas einfach in die Atmosphäre.“ Aber gerade der Emissionshandel könne Möglichkeiten eröffnen, hofft Backhaus: „Erst wenn diese Länder ihr Grubengas verstromen, erschließt sich ein riesiges Potenzial.“

MANFRED WIECZORECK