: „Ich war ein Trainspotter“
ANONYME MITTE Arwed Messmer, Fotograf und Archäologe, beobachtet die Veränderungen im historischen Zentrum Berlins. Er rekonstruiert und manipuliert dafür auch am Bildschirm
■ Der Badenser: geb. 1964 in Schopfheim, Baden-Württemberg. 1987–93 Studium der Visuellen Kommunikation, Schwerpunkt Fotografie an der FH Dortmund
■ Der Bildband: „Anonyme Mitte. Berlin“ (mit Texten von Annett Gröschner und Florian Ebner, 39 €), Verlag für Moderne Kunst, Nürnberg
■ Die Ausstellung: aktuell beteiligt an „Berlin 89/09 – Kunst zwischen Spurensuche und Utopie“, Berlinische Galerie, bis 31. 1.
INTERVIEW ANDREAS FANIZADEH
taz: Herr Messmer, seit wann leben Sie in Berlin?
Arwed Messmer: Ich bin 1991/92 zum Jahreswechsel nach Berlin gezogen. Zuvor hatte ich in Dortmund Visuelle Kommunikation studiert. 1990 war ich einer der letzten Stipendiaten des DDR-Kulturministeriums. Es gab im Rahmen des DAADs zum Ende der DDR hin einen Austausch.
Was hat der Südbadener in Ihnen gesagt, als er 1990 mit dem Stipendium nach Leipzig kam?
Der Südbadener, der kannte die DDR schon ganz gut, weil er in den 1980er-Jahren als Trainspotter immer wieder durch die DDR gefahren war. Ich war ein Eisenbahnfreak, der fotografierte. Und bei der damaligen Deutschen Reichsbahn gab es noch jede Menge Dampflokomotiven. Das war mein erster Zugang zur Fotografie: die Kamera als Apparatschaft, um zu sammeln.
Wie lange waren Sie dann zur Umbruchzeit in Leipzig?
Von Januar 1990 mit kleineren Unterbrechungen bis zur Währungsunion im Juli 1990. Aus meiner Trainspottingzeit war mir die DDR relativ vertraut. Doch auf einmal war die nicht mehr da. Ich hab’ fast ein Jahr gebraucht, um darauf fotografisch zu reagieren, bin viel rumgereist.
Wie hat der Osten damals ihre Optik verändert?
Ich hatte durch die früheren Kontakte keine Berührungsängste. Mit Boutiquensozialisten aus dem Westen, wie ich sie zum Beispiel vom Schauspiel Bochum her kannte, konnte ich nichts anfangen. Die bedauerten den Verlust der Eigenstaatlichkeit. Für mich war klar, dass mit der Währungsunion auch die Einstaatlichkeit besiegelt war. Politisch gesehen war das im Rückblick sicherlich die richtige Entscheidung.
1992 sind Sie nach Berlin. Was hat sie an der Stadt interessiert?
Für mich war klar, dass mein Berlin im Osten lag. Ich bin über Mitte und Prenzlauer Berg sozialisiert. Mich hat Berlin als Stadt immer von der historischen Aufladung her fasziniert, das zieht sich bis heute durch meine Arbeit. Berlin ist voller spannender Orte. Durch Teilung und Mauer hat sich sehr viel konserviert. Da, wo Brennnesseln wuchsen, musste man nur ein wenig kratzen, und schon kam wieder etwas hervor. Beispielsweise am Potsdamerplatz: Erst die große Leere und mit Beginn der Aushubarbeiten wurden für kurze Zeit die Fundamente der verschwundenen Häuser sichtbar.
Ihr neuer Bildband trägt den Titel „Anonyme Mitte. Berlin“. Warum „anonym“?
Das Anonyme besteht darin, dass die meisten Berliner den historischen Kern gar nicht kennen. Im Moment liegt der wissenschaftlich ermittelt älteste Teil Berlins nicht vor dem Roten Rathaus sondern in Alt-Cölln am Petriplatz. Es gibt dieses Disneyland, das Nicolaiviertel. Das man zur 750-Jahr-Feier 1987 noch während der DDR nachgebaut hat. Eine Compilation verschiedener Gebäude, die teilweise da nie gestanden haben. Wir befinden uns auf einem historischen Grund, der bis zur Unkenntlichkeit überformt ist. Ich begann dies ab den 1990ern zu beobachten und zu fotografieren.
Sie dokumentieren auch die Veränderungen, mixen historisch überlieferte Aufnahmen unter ihre Bilder. Ist die anonyme Mitte nicht im Begriff, sich aufzulösen?
Nicht wirklich. Ich stieß bei meinen Recherchen auf Bilder, die kurz nach dem Krieg entstanden sind. Ich suchte nach historischen Aufnahmen, die nicht nur dokumentarisch abbilden sondern auch über eine eigenständig bildnerische Qualität verfügen. Und was ich da 2006 in der Berlinischen Galerie fand, hat mich elektrisiert: bildnerisch hochwertiges Material aus der Umbruchzeit nach 1945. Dokumentationen des ganzen Ostteils der Stadt und zum Schlossabriss. Das setzte sich von den seinerzeit üblichen Propagandabildern aus Ost und West stark ab. Die Bilder Fritz Tiedemanns entstanden 1948 bis 1953, waren für die Ämter und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. 1953 wurde der Fotograf verhaftet und die Qualität der Dokumentation brach ab. Ich habe diese Bilder umfangreich digital bearbeitet und in Zusammenarbeit mit der Berlinischen Galerie ausgestellt.
Inwiefern bearbeitet?
Zum Beispiel einzelne Bilder zu Panoramaaufnahmen zusammengesetzt. Oder Oberleitungen rausgenommen, um so den ästhetischen Kern der Bilder herauszuarbeiten, ohne deren dokumentarische Lesbarkeit dabei zu relativieren. Es sind im Grunde virtuelle Ansichten. Die gibt es so gar nicht. Ich rekonstruiere und interpretiere. Bei einer eigenen Aufnahme wie dem Bild von der Palastruine, habe ich etwa die Kräne am Bildschirm digital entfernt, zugunsten der skulpturalen Qualität dieses verwundeten Palastes. Mit den Kränen hätte es wie ein Baufoto ausgesehen, so ist es eine Skulptur.
Eine andere Aufnahme wie die des früheren Galgenhauses mit der flatternden Wäsche im Hinterhof vermittelt einen eher kleinstädtischen Eindruck. Wie städtisch ist für Sie Berlin?
Das schwankt ja hier zwischen Brachfläche, gerade im Bereich der ehemaligen Mauer, wo es im Osten und Westen keine sinnvolle Nutzung gab, und relativ hochverdichteten und intakten Gründerzeitvierteln wie Prenzlauer Berg. Und in den Kernlagen der Stadt eben diese große Leere. Eine Leere, die teilweise auch ganz angenehm sein könnte, so man nicht versuchte, sie um jeden Preis zu verfüllen. Wie am Friedrichswerder, wo man subventionierte Grundstücke an private Bauherren gegeben hat und Townhouses entstanden sind.
Sie sprechen vom Areal am Außenministerium, dort haben sie auch fotografiert.
Ich halte die Idee, subventionierten Baugrund zu verkaufen und hinterher einen solchen Wohnungsbau zu betreiben, für problematisch. Im Schatten des Außenministeriums soll in Alt-Cölln noch einiges zu Gunsten von Town-House-Projekten abgerissen werden. Während viele Fragen um den Schlossplatz ungelöst sind, wird das 20. Jahrhundert Stück für Stück beseitigt. Als nächstes wird das frühere DDR-Bauministerium entlang der Breitestraße hoch zur Gertraudenstraße abgerissen. Das 20. Jahrhundert wird getilgt, ohne zu wissen, was stattdessen kommen soll.
Ihre Bilder sind sehr ruhig, unpolemisch, unpropagandistisch. Ein Bild hebt sich davon ein wenig ab: „Die DDR hat’s nie gegeben“. Dieses Graffiti haben sie großformatig abgebildet, warum?
Fotografie sollte eigentlich ohne Text auskommen. Aber, ich fand dies so markant und habe es aufgenommen als gerade die letzten Treppenhäuser am Palast der Republik zerklopft wurden. Das ist an der Schnittstelle, an der eigentlich Palast der Republik und Schloss aneinanderstoßen würden. An der alten Stützmauer, die dann von einer Brücke überbaut war, und die jetzt gerade abgerissen wurde. Beim Rückbau ist diese alte Uferbefestigung zum Vorschein gekommen und da hat es dann jemand draufgemalt. Es war schwer zu fotografieren. Das Bild in meinem Buch ist aus zwei Aufnahmen mit unterschiedlichen Standpunkten zusammengesetzt, virtuell hergestellt. So erhält es auch eine markante Räumlichkeit.
■ Andreas Fanizadeh leitet das taz-Kulturressort. Geboren 1963 in Österreich, lebt er heute in Berlin