Im Rhythmus der Quittencreme

NATURKOSMETIK Anthroposophische Methode ist kein Geheimrezept mehr – auch Männer greifen immer öfter zur ganzheitlichen Lotion

Wer zu Rasierschaum oder Zahnpasta greift, interessiert sich nicht unbedingt für antike Mysterienkulte

VON ANSGAR WARNER

Im öffentlichen Raum gab es vor Kurzem eine kleine Revolution. „Ferrum Phosphoricum“, prangte es plötzlich von den Werbeflächen an Bahnhöfen und Innenstädten. Oder: „Neurodoron“. Die Schrift war irgendwie keilig-schräg, die Hintergrundfarbe in kräftigen Pastelltönen, und darunter stand, worum es eigentlich ging: „natürliche Hilfe“ bei Erkältung oder Stress. Wer näher ranging, konnte auch das Kleingedruckte lesen: „Anwendungsgebiete gemäß der anthroposophischen Menschen- und Naturerkenntnis“.

Viele Menschen werden ihre Skepsis gegenüber Globuli, Essenzen und Tinkturen wohl auch angesichts großer City-Light-Poster nicht verlieren. Anders im Fall von Naturkosmetik: Vermittelt durch Door-Opener wie Quittencreme, Granatapfellotionen und Sanddornpflegeserien wird Otto Normalverbraucher immer aufgeschlossener für ganzheitliche Produkte: „Wir konnten in der letzten Zeit ein zweistelliges Umsatzwachstum verzeichnen“, so etwa Sonja Maraslis, Pressesprecherin für den Bereich Naturkosmetik bei der Weleda AG in Schwäbisch Gmünd.

Über Zuwächse freut man sich aber auch bei der WALA Heilmittel GmbH in Eckwälden bei Stuttgart. Bekannter ist allerdings der für diese Sparte eingeführte Markenname Dr. Hauschka. Die Zukunft des Labels scheint so rosig wie die Inhaltsstoffe: „Das Marktforschungsinstitut Organic Monitor erwartet für den deutschen Naturkosmetikmarkt in diesem Jahr sogar ein Wachstum von 16,5 Prozent auf 785 Millionen Euro in diesem Jahr – trotz Wirtschaftskrise“, freut sich Inka Bihler, zuständig für Presse- und Öfffentlichkeitsarbeit bei Dr. Hauschka. Der wachsende Marktanteil der Naturkosmetik hat auch mit einem generellen Umdenken der Verbraucher zu tun. „Aspekte wie Qualität und Nachhaltigkeit werden immer wichtiger für die Kaufentscheidung“, so Maraslis. „Gerade bei Familien setzt der Bewusstseinswandel dann ein, wenn das erste Kind da ist.“ Auch der Mainstream macht sich immer öfter Gedanken über den richtigen Lebenswandel: „Bis vor wenigen Jahren war die typische Dr.-Hauschka-Kundin die Frau ab 35 mit höherem Bildungsstandard. Inzwischen zählen wesentlich breitere Alters- und Einkommensgruppen zu unseren Kunden – auch Männer“, weiß Inka Bihler.

Weleda führt nun sogar eine auf die Bedürfnisse von Männerhaut abgestimmte Pflegeserie. Bei der Konkurrenz hält man dagegen nichts von der Geschlechtertrennung im Kosmetikbereich: „Bei uns gibt es keine spezielle Männerpflegeserie, weil wir nicht in männliche und weibliche Haut unterscheiden“, stellt Inka Bihler fest – jeder soll offenbar nach seiner Lotion selig werden.

War früher der Gang in die Apotheke oder das Reformhaus nötig, bekommt man mittlerweile viele alternative Kosmetikprodukte auch in Naturkostläden, Kaufhäusern und Drogeriemärkten. Bedenkt man, wie kritisch viele Menschen der Anthroposophie gegenüberstehen, ist der Trend zur Ganzheitlichkeit bei der Körperpflege trotzdem zunächst erstaunlich.

Immerhin kann Weleda für sich beanspruchen, direkt von Rudolf Steiner inspiriert zu sein – von ihm stammt nämlich die Idee, den Namen der legendären germanischen Heilpriesterin zum Firmennamen zu machen. Wer im Drogerieregal zu Rasierschaum, Zahnpasta oder Feuchtigkeitscreme greift, interessiert sich natürlich nicht unbedingt für antike Mysterienkulte.

Das Firmenmotto klingt da schon naheliegender – „Im Einklang mit Natur und Mensch“. „Viele unserer Zutaten werden am Firmenstandort Schwäbisch Gmünd im eigenen Heilpflanzengarten angebaut“, so Maraslis. Auf mehr als zwanzig Hektar Anbaufläche setzt man seit je auf die biodynamische Landwirtschaft. Auch bei WALA in Eckwälden werden Heilpflanzen nach Demeter-Regeln angebaut.

Der Name WALA wiederum hat mit dem Herstellungsprozess zu tun: Wärme, Asche, Licht, Asche. „Studieren Sie die Rhythmen der Natur“, soll Rudolf Steiner zum Firmengründer Rudolf Hauschka einmal gesagt haben. Der Chemiker war auf der Suche nach einem Verfahren, die Extrakte von Heilpflanzen möglichst ohne Alkohol zu konservieren. Die „Lebenskräfte“ der Auszüge sollten erhalten bleiben. Durch rhythmische Prozesse aus Licht, Wärme oder Bewegung gelang es schließlich, zufriedenstellende Ergebnisse zu erzielen.

Die Grundsätze werden auch heute noch beherzigt: Sieben Tage lang setzt man die Pflanzenauszüge wechselnden Licht- und Wärmeverhältnissen aus und bewegt sie hin und her. Ein Teil der Substanz wird „verascht“ und dann dem Endprodukt wieder zugesetzt. Anschließend gönnt man den Stoffen Ruhe – der gesamte Herstellungsprozess dauert ein Jahr. Bei der Produktion gelten für Kosmetika dieselben Qualitätsstandards wie für Arzneimittel. Der Löwenanteil des edlen Gestrüpps verwandelt sich ohnehin in Pasten, Cremes und Lotionen.