heute in hamburg
: „Versuchte Mordanschläge“

Lesung Nils Oskamp zeigt in der Graphic Novel „Drei Steine“ seine Erfahrungen mit Neonazis

Nils Oskamp

Foto: privat

Jahrgang 1969, ist in Dortmund aufgewachsen und lebt in Hamburg als freiberuflicher Illustrator.

taz: Herr Oskamp, was war Ihre erste Begegnung mit Neonazis in Dortmund?

Nils Oskamp: Mit 13 habe ich einem Mitschüler widersprochen, weil er die Auschwitzlüge propagiert hat. So sind die Nazis auf mich aufmerksam geworden. Die Geschichte endete mit zwei versuchten Mordanschlägen auf mich.

Was war passiert?

Bei dem ersten Mal wurde mit einem Wehrmachtskarabiner auf mich geschossen. Das zweite Mal wurde ich auf dem Rückweg von der Schule überfallen. Nach massiven Stiefeltritten in Unterleib und Gesicht habe ich mich entschieden, zur Polizei zu gehen. Vor Gericht wurde es aber wie eine normale Schulhofs­prügelei dargestellt. Im Endeffekt haben die Schläger 25 Sozialstunden gekriegt. Und der Obernazi wurde in die Parallelklasse versetzt.

Hat niemand reagiert, weder Erwachsene noch Mitschüler?

Meine Familie hat mir jahrelang nicht geglaubt. Das liegt daran, dass meine Klassenlehrerin das Thema systematisch schöngeredet hat. Aus der Klasse wussten alle davon, aber die meisten haben sich von mir distanziert. Es herrschte ein Klima der Angst. Bei den Angriffen auf mich hat einer der Täter gerufen: „Wenn jemand die Polizei ruft oder den Krankenwagen, den finden wir und machen ihn fertig.“ Es wurden auch generell Zeugen unter Druck gesetzt, bis sie ihre Aussagen zurückgezogen haben.

Ist die Naziszene in Dortmund besonders ausgeprägt?

In der Weimarer Republik hatte die NSDAP die schlechtesten Wahlergebnisse aus Dortmund und es gab starken Widerstand. Nach der Machtergreifung Hitlers hat die Regierung gezielt Leute aus der Gestapo und der SS dort hingeschickt. Viele von denen sind auch nach Kriegsende geblieben, teilweise in ihren alten Posten. Besonders in Dorstfeld in der Nähe der Uni haben sich viele Neonazis in WGs eingenistet.

Hat sich da bis heute etwas verändert?

Das Problem wurde jahrelang totgeschwiegen. Doch vor acht Jahren hat die Stadtregierung reagiert. Es gibt runde Tische, die sich mit dem Thema befassen und der BVB beteiligt sich an Gegenaktionen. Die Nazis versuchen immer noch, möglichst viele Jugendliche zu rekrutieren. Dafür wird in jede Schule ein Anwerber geschickt. Das Netzwerk „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“ setzt sich mit ihrer Präventionsarbeit gezielt dagegen ein.

Interview Lisa König

Lesung aus der Graphic Novel „Drei Steine“: 18 Uhr im Curio- Haus, Rothenbaumchaussee 15