LeserInnenbriefe
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Wo lebt dieser Heinz Bude nur?

betr.: „Sack voll Hoffnung“, taz vom 14. 9. 17

Da bereist der Soziologe Heinz Bude den Dortmunder Norden und kommt mit „ganz wichtigen Erkenntnissen“ nach Kassel zurück: „Woanders ist auch scheiße!“ Abgesehen von der billigen Anbiederung an den Kabarettisten Frank Goosen, der gern mal seine Bochumer Heimat persifliert, sind die politisch-soziologischen Schlüsse abenteuerlich.

Die Grünen seien an ihrem „Glauben an eine bessere Welt“ vor allem durch die inklusive Bildung an unseren Schulen gescheitert? Hä? (um mal mit einem typischen Interrogativpronomen der Region nachzuhaken)

Die Grünen, vor allem die NRW-Grünen, sind an der windelweichen Anbiederung an den Koalitionsmainstream ohne Inhalte, an ihrer Nibelungentreue zu warm gepolsterten Ministersesseln gescheitert. Wenn man Scheitern verstehen will, so sollte man es in Bezug zur eigenen Klientel setzen. Zu denjenigen, die den Wahlauftrag erteilt haben. Die Grünen haben nicht verstanden, dass sie insbesondere für Inhalte gewählt wurden, die sie in Regierungsverantwortung zugunsten von Machterhalt aufgegeben haben. Dazu zählt vor allem die Umweltpolitik, die sie sich von ihrem Koalitionspartner haben diktieren lassen. Hinzu kam ihr hilfloses Agieren in der Schulpolitik. Grüne wollen partout in die politische Mitte, nicht verstehend, dass dort schon genügend andere etabliert sind.

Noch abstruser wird Bude in der Frage von Massenarmut: „Ich glaube, die meisten deutschen Wähler wissen, dass Hartz IV ein Problem der Vergangenheit ist – und das neue Dienstleistungs­proletariat ein Problem der Zukunft.“

Wenn die Grundsicherung des Lebensunterhalts ein Problem der Vergangenheit wäre, wo bleiben dann die fast 3 Millionen Menschen in Deutschland, die von Arbeitslosengeld II in einer Art Dauerzustand leben müssen? Fast die Hälfte aller Hartz-IV-Empfänger ist schon länger als vier Jahre auf Stütze angewiesen. Schlimm geht es den prekär beschäftigten sogenannten Aufstockern, die aufgrund schlecht bezahlter Jobs Sozialleistungen zu ihrem Einkommen hinzu beantragen müssen.

Im Ruhrgebiet wird die SPD sehr wohl mit den Schröder’schen „Reformen“ des Arbeitsmarkts, der Agenda 2010, assoziiert. (Leider wird hauptsächlich die SPD damit in Verbindung gebracht, tatsächlich war Hartz I–IV eine Gesetzgebung der Schröder-Fischer-Koalition. Grüne halten sich wohl deshalb bei dem Thema immer fein zurück.)

Tagtäglich haben die Sozialgerichte mit den Auswirkungen dieser vermurksten „Arbeitsmarktreform“ zu tun. Hartz IV ist ein Problem der Vergangenheit? Wo lebt dieser Heinz Bude eigentlich? RAIMUND SCHORN-LICHTENTHÄLER, Datteln Wegbereiter der Frauen in der CDU

betr.: „Kohls linke Hand“, taz vom 13. 9. 17

Sozialist ist, schreibt Jan Feddersen in seiner Würdigung Heiner Geißlers, wer „erfolgreich die Wünsche der arbeitenden Klassen absorbiert“, „die Nato hat den Kosovo mit Bomben, auch auf die restjugoslawische Hauptstadt Belgrad, verteidigt“, die CDU ist eine „konservative, aber auch libertäre Partei“, und Heiner Geißler war der Wegbereiter der Frauen in der CDU. Herr Feddersen hat seine Fähigkeiten als Schlagerexperte und als Spezialist für Klatsch und Tratsch schon vielfach unter Beweis gestellt. Mag er Nachrufe auf Schlagerstars und auf Modeschöpfer schreiben. LEO DEISENHOFER, Thurnau

Lärm schadet immer

betr.: „Offen für Tegel“, taz vom 14. 9. 17

Über das Für und Wider eines Weiterbetriebs von Tegel ist so viel geschrieben worden, dass es mir fast schwerfällt, schon wieder einen auch noch so langen Beitrag darüber zu lesen. Ein Satz darf jedoch nicht unkommentiert stehen bleiben: „Er selbst habe sich längst an den Lärm gewöhnt . . .“

Die Aussage dieses Satzes ist schlichtweg falsch! Medizinisch ist es eindeutig bewiesen, das man sich nicht an Lärm gewöhnen kann, dazu gibt es zahlreiche valide wissenschaftliche Untersuchungen. Das Trügerische: Ist man über einen längeren Zeitraum stetigem oder immer wiederkehrendem Lärm ausgesetzt, glaubt man irgendwann, sich an diesen gewöhnt zu haben. Tests mit Betroffenen haben gezeigt, dass deren Körper und Psyche signifikant höhere Werte an Stressmarkern aufweisen als nicht von Lärm betroffene Personen! Lärm schadet immer!

MATTHIAS BACKES, Berlin

DIN 4109

betr.: „Sachkunde: Mit Kafka ohne Ohropax“, taz vom 9. 9. 17

Wenn Franz Seldte (Arbeits und Sozialminister 1933–1945) die DIN 4109 im Jahr 1944 per Gesetzblatt unterschrieben hat, war er in seinem Ministerium längst von Hermann Göring entmachtet und isoliert. Er hatte aus Protest gegen die kriegsorientierte Materialpolitik schon 1935 Hitler seinen Rücktritt angeboten, der ihm aber nicht gewährt wurde.

Seldte war Protegé Hindenburgs und auf dessen Druck überhaupt in das Kabinett aufgenommen worden. Seldte starb am 1. April 1945 in einem alliierten Militärgefängnis. In einem Prozess gegen die Kriegsverbrecher in Nürnberg wäre er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit freigesprochen worden.

Die DIN 4109, eine der drei bauphysikalischen Normen, ist bis heute in Kraft. Meine Kollegen, die sich über mangelnde Umsetzung der Norm beklagen, mögen sich mehr über die Kon­trol­le ihrer Einhaltung am Bau sorgen. Doch dafür fehlen ihnen manchmal das Verständnis und die erforderlichen Instrumente.

WOLFGANG JANSEN, Bad Bergzabern