Wuchernde Vulven

KUNST Elmar Trenkwalder zeigt, wie Bilderwelten der Fantasie zu gestalten sind. Dabei siegt die Lust am obsessiven Modellieren und Verzieren über die Abstraktion

Die sinnliche Lust des Autodidakten beim Modellieren ist beim ersten Anblick zu spüren

VON JENS FISCHER

Wer neugierig auf den ältesten Werkstoff der Menschheit ist und einen Töpferkurs absolviert, kommt oft mit Stehrumskifiguren oder etwas Alltagspraktischem heim. Vertikal emporgereckte Hohlräume lassen sich so in Ton fassen, dass man Blumen hineinstecken oder Kaffee daraus trinken kann. Zum Beispiel.

Der Österreicher Elmar Trenkwalder, Jahrgang 1959, zeigt in der aktuellen Ausstellung des Gerhard-Marcks-Hauses mit kunstgeschichtlich einzigartigen Keramikplastiken, wie beim Matschen und Zurechtformen des schmiegsamen Tons die Bilderwelten der Fantasie zu gestalten sind. Nutzlos, aber schön. Beim ersten Anblick seiner Werke ist sie zu zu spüren, die sinnliche Lust des Autodidakten beim Modellieren. Und sie reizt zur haptischen Wahrnehmung, die im Museum allerdings nicht erwünscht ist. Aber auch optisch vermittelt sich das florale, figürlich knospende und schlängelnde Gestaltungsprinzip. Die Formensprache scheint inspiriert von Barock, Rokoko, Jugendstil, hinduistischer Architektur – und einem vieldeutig organischen Surrealismus zugehörig, durchwirkt von Fruchtbarkeitssymbolen und religiösen Verweisen.

Als Architekt des Unbewussten klebt Trenkwalder Versatzstücke der Verdrängung an Säulen, Skelettkonstruktionen, Bilderrahmen. Eine Art Widerspruch zu Adolf Loos’ Essay „Ornament und Verbrechen“. Denn was jener mit sachlicher Argumentation auszumerzen suchte, stellt Trenkwalder obsessiv aus: die Verzierung.

Nehmen wir eine Säulenreihe, die von Ferne wie der mahnmalige Überrest eines Kirchenschiffs anmutet und mit einer zum Anbeißen leckeren Karamellfarbenglasur zum Glänzen gebracht wird. Titel: „WVZ 221 - S 2009“. In den Rundbögen recken sich Kerzenständer, darauf Gebilde, die als feucht schimmernde, kondomisierte Penisse wahrgenommen werden können. An den Säulen selbst hängen Kringelwürste, wulstige Aufstülpungen, spitze Wucherungen. Gekrönt wird das Objekt von Figuren der indischen, griechischen und christlichen Mythologie, eine Nana ist zu sehen, Mutter Gottes und Buddha. Man staunt – wie beim Blick auf die Bremer Rathausfassade, die ja ein in Stein gehauenes Bilderbuch ist. Nur gibt sich Trenkwalder weniger kinderkompatibel. Einen verzückt entrückten Heiligen stattet er mit erigiertem Penis aus. Plötzlich fallen einem auch Vulva-ähnliche Aufwölbungen auf, aus denen die Glasur wie Lustsoße herauslief.

Gleich daneben sind Götzenbildnischen übereinander getürmt, im Zentrum leckt eine Männermaske an einem Penis, drumherum arrangiert mal stolz gereckte, mal herabhängende Geschlechtsorgane. Erinnerungen an Jeff Koons werden wach. Marcks-Haus-Direktor Arie Hartog verweist indes darauf, die Ornamente seien nur Ornament, Bedeutung lüden wir Betrachter selbst drauf, konnotierten schnell die Vertikale männlich, alle Falten, Bögen und fleischlich abgerundeten Winkel als weiblich. Aber Trenkwalder arbeitet nicht abstrahiert genug, um andere Deutungen nahe zu legen. Weswegen im Ausstellungskatalog betont wird, dass die wuchernden Vulven und Phalli jenseits der erotischen Bildlichkeit keine „oberflächliche und historisch verbrauchte Provokation“ darstellen. „Es ist eine Metapher“, erklärt Trenkwalder, „eine Metapher für das als Verschmelzungsprinzip aufgefasste Leben.“

Aber der Künstler kann auch anders. Die Ausstellung zeigt Bleistiftzeichnungen verknoteter Wurzeldschungellandschaften – drumherum prunkt ein geschnörkelter, selbst getöpferter Rahmen. Oder er malt antike Säulen auf Raufaser und rahmt mit Billigauslegeware. Zentral aber sind die phantasmagorisch bizarren Tonkonstruktionen – assoziiert werden könnten Hochzeitstorte, mutiertes Insekt, heruntergefallene Kirchturmspitze, Altar, Palast, Kathedrale. Oder Ausgrabung einer untergegangenen Zivilisation. Das monumentale „WZV 250 - S 2012“ lässt an eine Nachbildung der Türme Angkor Wats denken. Die kambodschanische Tempelanlage ist mit fast 2.000 steinernen Figuren dekoriert, die Tänzerinnen darstellen, wovon nie zwei die gleichen Gürtel, Ketten, Sarongs oder Diademe tragen. Bei Trenkwalder ist auch keines der unzählbaren Ornamente seiner pseudosakralen Inszenierung mit einem anderen identisch, alles fügt sich zu einer Orgie ineinander fließender Verzierungen: Ornament als Obsession.

■ bis 17. 2. 2013