NRW-Grüne doppelt angeknabbert

In den Umfragen erreichen Nordrhein-Westfalens Grüne gerade einmal 5 Prozent. Steinbrücks SPD holt sich ihre Zweitstimmen zurück. Und auch die WASG macht den Grünen Konkurrenz – sie konnte sich schon bei der Landtagswahl profilieren

„Es wäre doch eine Tragödie, wenn ‚links‘ nur von Lafontaine definiert würde“

VON ULRIKE WINKELMANN

Er kommt doch nochmal. Joschka Fischer gibt heute in Nordrhein-Westfalen eine ungeplante letzte Vorstellung als Grünen-Chefwahlkämpfer.

Außerdem sponsort die Bundespartei den nordrhein-westfälischen Grünen ihr neues Plakat. Darauf lacht ein kleiner Ex-SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück in Richtung einer großen, geradeaus lächelnden Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Vorbild: Das Plakat der Linkspartei, auf dem Gregor Gysi zu Oskar Lafontaine heraufschaut. „Wer eine große Koalition mit Merkel und Steinbrück verhindern will“, fasst die nordrhein-westfälische Spitzenkandidatin Bärbel Höhn die Botschaft in Worte, „muss Grün wählen.“

Der Extra-Joschka, das Extra-Plakat und der Extra-Tritt gegen das sozialdemokratische Schienbein haben einen besonderen Grund: Ausgerechnet Bärbel Höhn und ihre NRW-Grünen drohen am Sonntag besonders schlecht abzuschneiden.

Zehn Jahre lang, von 1995 bis zum rot-grünen Untergang am 22. Mai 2005, haben sie den Ministerpräsidenten Wolfgang Clement und Peer Steinbrück von der SPD die Regierung gesichert. Jetzt jedoch setzen Clement, Steinbrück und die NRW-Sozialdemokraten auf eine große Koalition im Bund und verzeichnen beträchtliche Prozentpunktsprünge – auf Kosten der Grünen, wie es aussieht. Während die NRW-SPD zuletzt weit vorm Bundestrend bei 38 Prozent lag, sind die NRW-Grünen weit unter den Bundestrend, nämlich auf 5 Prozent gerutscht.

Bis 2002 war die Zahl der rot-grünen Stimmensplitter bundesweit stetig gewachsen – besonders in NRW: „Wir haben hier 50 Prozent Zweitstimmenwähler von der SPD gehabt“, erklärt der Grünen-Landeschef Frithjof Schmidt. Jetzt jedoch scheint die SPD ebenfalls gerade in Nordrhein-Westfalen ihre Wähler wieder an sich zu binden. Schmidt vermutet, dass „neunzig Prozent“ der grünen Verluste in Umfragen „zurückgeholte“ SPD-Zweitstimmen sind.

Höhn allerdings sieht noch ein Leck: „Es wird an zwei Stellen an den Grünen geknabbert“, sagt sie – nicht nur von der SPD, sondern auch von der Linkspartei. Zwei Gründe nennt Höhn für einen vergleichsweise starken Verlust nach links: In Nordrhein-Westfalen gebe es mehr Großstädte als anderswo. Und die WASG habe sich bereits im Landtagswahlkampf profiliert.

Der Münsteraner Grüne Wilhelm Achelpöhler erklärt, besonders die Bundesgrünen hätten die Gefahr von links unterschätzt. Nach der Landtagswahl hätten sie sich auf einer Wahlanalyse ausgeruht, wonach die Grünen stark an die CDU, stärker an die SPD, kaum dagegen an die WASG verloren hätten. Laut anderer Wahlanalysen „war die Wählerwanderung aber viel komplexer“, sagt Achelpöhler.

Demnach hätten die Grünen schon im Mai stark an die WASG verloren – „und da hatten die noch keine Aussicht, ins Parlament zu kommen.“ Die Grünen müssten die Linkspartei „als Konkurrenz ernst nehmen“, sagt Achelpöhler. „Es wäre doch eine Tragödie, wenn ‚links‘ nur noch von Lafontaine definiert würde.“