Zugelötet auf Berg Zion

FINISSAGE Ornament & Verbrechen spielen am Sonntag eines ihrer seltenen Konzerte auf den Trümmern von Arno Brandlhubers „Archipel“-Ausstellung

VON ANDREAS HARTMANN

Einige der Sandhaufen wurden im Laufe der vergangenen Woche schon wieder abgetragen. Die Sandberge im hinteren Teil von Arno Brandlhubers Ausstellung „Archipel“ im Neuen Berliner Kunstverein in der Chausseestraße bleiben noch bis Sonntag liegen. Sie werden noch gebraucht.

Wem vielleicht nicht ganz klar wird, was der streitbare Architekt, Stadtplaner und Künstler Arno Brandlhuber mit der Kraterlandschaft aus Sand sagen will, dem bleibt die auf Zeitungspapier gedruckte Publikation zum Mitnehmen, die Brandlhuber zusammengestellt hat. Das Heft enthält als Faksimile so gut wie alle Texte, die vom Sommer des vergangenen bis zum August dieses Jahres in den Berliner und den großen überregionalen Zeitungen zur Gentrifzierungsproblematik in der Hauptstadt erschienen sind.

Brandlhubers Konzeptkunst spiegelt abstrakt die Entwicklung Berlins zu einer Stadt homogenisierter Inseln, in der Bewohner mit wenig Einkommen baden gehen, während die mit dem Geld die Grundstücke mit Strandblick unter sich verteilen. Konkret verständlich wird das bei Lektüre der Presseschau. In einem Interview, das er der Berliner Zeitung gegeben hat, sagt Brandlhuber: „Berlin wächst wieder, und der Homogenisierungsdruck auf die Milieus verstärkt sich. Man kann das nicht nur in Mitte sehen: Die Preise gehen nach oben, die Klientel wird immer gleicher, Hartz-IV-Haushalte fliegen raus.“ Folgerichtig bewegten wir uns „zu einem exkludierenden Archipel, zu einer Stadt neben der Stadt der Anderen“ hin.

Interessant ist es sowieso, chronologisch nachlesen zu können, wie vor gut einem Jahr vereinzelt die ersten Horrornachrichten von Mietsteigerungen auftauchten, bis sich das Ganze zur aktuellen Mischung aus Touriphobie, Angst vor Verdrängung und schließlich der Erkenntnis hochschaukelte, dass die Berliner Politik dieser Entwicklung eher tatenlos zuschaut.

Kulturprekäre, Künstler und Musiker, die typischen Berliner halt, haben sich inzwischen wohl schon alle mal so ihre Gedanken gemacht, wie es weitergehen soll, wenn alles so weitergeht. Das gilt auch für Ronald Lippok. Seine Band Ornament & Verbrechen, die er seit 30 Jahren zusammen mit seinem Bruder Robert betreibt und die inzwischen den Status der Legende genießt, wird zur Finissage der Ausstellung ein Konzert geben. Lippok und Brandlhuber kennen sich schon länger. To Rococo Rot, die andere Band der Lippok-Brüder, hat mit „Kölner Brett“ ein Konzeptalbum für einen von Brandlhuber entworfenen experimentellen Wohnkomplex in Köln aufgenommen.

Lippok wohnt am Zionskirchplatz, im Herzen von Prenzlauer Berg, diesem fast schon generalstabsmäßig durchgentrifizierten Berliner Bezirk. Seine Bands To Rococo Rot und Tarwater wurden Mitte der Neunziger bekannt und gehören bis heute zu den wenigen deutschen Acts, die im Ausland erfolgreicher sind als daheim. Ihre Fusion aus Elektronik und Pop, bei Tarwater ergänzt um Ronald Lippoks Gesang, gilt als stilbildend. Lippok ist ein leidenschaftlicher Zionskirchplatz-Bewohner, seine E-Mail-Adresse spielt mit dem Wort „Zion“, seine Stammkneipe befindet sich dort. Wegziehen, nein, das möchte er nie. Die Lippoks wohnen schon seit Generationen hier. Bereits sein Großvater habe sich in der Kneipe, in der wir gerade sitzen, „zugelötet“, sagt Lippok.

Der Konflikt ist da

Er versteht, was Arno Brandlhuber meint, wenn dieser sagt, die soziale Durchmischung Berlins sei in Gefahr. „Der Konflikt“, sagt Lippok, „ist da.“ Er möchte nicht wie einer dieser Gentrifizierungskritiker klingen, die Schwaben und Spanier für das Berliner Elend verantwortlich machen: Zur permanenten Veränderung der Stadt sagt Lippok ausdrücklich Ja. Aber „die Veränderung eines Viertels aus finanziellen Gründen, die Verdrängung“, das halte er doch für ein Problem.

Künstler und Musiker wie er sind längst zur Seltenheit geworden im Stammbezirk gut situierter junger Familien und florierender Bioläden. Auch für Lippok wird es schwerer am Zionskirchplatz. Das Haus, in dem er wohnt, ist verkauft worden. Die Tatsache, dass schon Opa Lippok in diesem Haus wohnte, zählt jetzt nichts mehr. „Die neuen Besitzer kamen gleich mal in die Wohnung und haben sie neu vermessen. Dann wurde klargemacht, dass man sie jetzt lieber kaufen solle, man wisse ja nie. Für 250.000 Euro.“

Arno Brandlhuber beobachtet, wie die zunehmende Unsicherheit auf dem Berliner Wohnungsmarkt zu Migrationsbewegungen innerhalb der Stadt führt. Sie sind kaum mit dem Nomadentum zu vergleichen, das Berlin seit der Wende geprägt hat. Damals konnte man Freiräume nutzen, die es bald nicht mehr geben wird, wenn Berlin weiter so fleißig seine Grundstücke privatisieren lässt, wovor Brandlhuber warnt. Clubs und Bars wanderten umher, weil sie mussten, aber auch, weil sie es konnten. Das prägte Berlins Image als Stadt des Auf- und Umbruchs.

Ornament & Verbrechen sind so gesehen eine prototypische Berlin-Band. Schon in der DDR musste sie ständig umherziehen auf der Suche nach Auftrittsorten, da die als dissident eingeschätzte Punkband keine offizielle Bandgenehmigung, keine „Pappe“ besaß. Die Band trat in Kirchen und Galerien auf, einmal sogar illegal im Palast der Republik. Nach der Wende gaben Ornament & Verbrechen Konzerte in all den Läden, die heute für die aufregenden Neunziger stehen, im Eimer oder im Milchhof.

Wechselnde Besetzungen, Arbeiten für Film und Theater, Auftritte unter anderen Namen, all das machte Ornament & Verbrechen zu einer Band der permanenten Transformation in einer heterogenen Stadt. Bei ihrem Konzert am Sonntag werden sie die letzten Sandhaufen zum Musizieren nutzen.

■ Ornament & Verbrechen, Sonntag, 4. November, 20 Uhr. N.B.K., Chausseestraße 128/129, Mitte