Bei Frost und Regen: die Kraftprobe

Seit Jahren schon lag die Flüchtlingspolitik in Berlin brach

Im Rund sitzen die 16 Flüchtlinge unter dem Schatten des Brandenburger Tors, umstellt von aufgespannten Regenschirmen, umflossen von Touristen. Wind zerrt an ihren Steppjacken, die Polizei an Isomatten und Schlafsäcken. Neun Tage, bei Tee und Wasser, Frost und Regen.

Eine „politische Inszenierung“ schimpfte CDU-Innensenator Frank Henkel den Hungerstreik der 16. Ein überraschender Vorwurf. Was sonst sollte dieser Protest sein? Natürlich ist es eine Inszenierung. Es ist ein Symbol, wenn der eigene Körper zum Einsatz für das politische Ziel wird, ein wohlkalkuliertes. Noch viel mehr: das letzte.

Seit Jahren schon liegt die Flüchtlingspolitik in Berlin brach. Zu Demos gegen den Berliner Abschiebeknast, gegen Flüchtlingsheime – nie kamen mehr als ein paar hundert Teilnehmer. Die Flüchtlinge haben dies nun durchbrochen. Auf eigene Initiative und mit einer Kraftprobe, die nicht mehr zu übergehen war. 600 Kilometer liefen sie von Würzburg nach Berlin. 6.000 Menschen folgten ihnen vor drei Wochen zur größten Flüchtlingsdemo seit Jahren. Und schließlich der Hungerstreik in Sichtweite ihres Adressaten, des Bundestags.

Dass die Asylbewerber so weit gehen, überrascht nicht. Fast alle von ihnen waren Politaktivisten in den Ländern, aus denen sie fliehen mussten. Niemand durfte erwarten, dass sie nach ihrem wochenlangen Fußmarsch einfach kehrtmachen, zurück in die Unsichtbarkeit der Heime.

Henkel hat dieser Kraftprobe inhaltlich nichts entgegengestellt. Außer der Verteidigung der Polizei, die das Versammlungsrecht der Flüchtlinge bis zur Verhinderung mit Auflagen belegte, selbst Wärmflaschen beschlagnahmte – was dem Hungerstreik erst recht Öffentlichkeit verschaffte. Bezeichnend, dass dieser weniger die klassisch linke Unterstützerszene mobilisierte, sondern – die Piraten. Eine Partei, die bisher nicht durch ausgeprägte Flüchtlingspolitik auffiel. Deren Interesse aber zeigt: Die Botschaft der Hungerstreikenden, ihr Ernst, vermittelt sich längst in der Breite.

Auch wenn die Asylsuchenden ihren Hungerstreik nun beendeten – sie haben schon gewonnen. Denn nun wird nach Jahren der Stille wieder diskutiert, auch auf Bundesebene: über abgelegene Heime, die Arbeits- und Reiseverbote, die langwierigen Asylverfahren. Die Inszenierung ist aufgegangen. KONRAD LITSCHKO