: Wo die Projektoren brummen
Lichtkunst KünstlerInnen entdecken, Räume ausloten, das hat Kurator Rüdiger Lange schon vor 20 Jahren umgetrieben. Nun beleuchtet er Räume der Vergangenheit
von Donna Schons
Zwischen Checkpoint Charlie und Französischer Straße sind die Straßen von Hütchenspielern und Souvenirshops gesäumt, und man fühlt sich zwischen den herumirrenden Touristen immer ein wenig so , als sei man in einem Disneyland der deutschen Geschichte gelandet. Dort steht ein Haus, das so gar nicht zu seiner Umgebung passen will. Von außen wirkt das GLINT an der Glinka-, Ecke Taubenstraße fast schon heruntergekommen: Weißer Putz blättert von seinen Wänden ab, das Erdgeschoss gleicht einer chaotischen Baustelle.
Beim Eintreten jedoch wird klar: Hierbei handelt es sich um ein ganz besonderes Gebäude. An dem Gründerzeitbau sind die Spuren der DDR in Form von Wandtapeten und Fensterornamenten aus Klebefolie haften geblieben. Und so führt uns Rüdiger Lange, der in der ersten Etage des momentan leer stehenden Hauses die Ausstellung „Spatial Clearings“ zeigt, bei unserer Ankunft direkt in den Innenhof. Noch bevor es an die Kunst geht, sollen wir die beständige Ruhe erleben, die von den weit in den Himmel hinaufragenden Backsteinen ausgeht. Mitten im Zentrum Berlins haben sie den Fügungen der Geschichte getrotzt, dank hermetischer Abriegelung findet sich hier nicht einmal ein einziges Graffito.
Lange wird das GLINT in seiner aktuellen Form nicht mehr existieren, bald wird hier die Immobiliengruppe COPO Einzug halten. Vorher jedoch hat sie den Raum dem Kurator überlassen, der uns mit Begeisterung durch die ehemaligen Wohnräume führt. Nachdem Lange zuvor den Kunstraum Loop und die Satellit-Kunstmesse Preview leitete, besinnt er sich nun zurück auf eine Ausstellungstradition der 90er Jahre, einer Zeit, in der jeder leer stehende Winkel der neu aufblühenden Metropole für Ausstellungen, Kunsthappenings und Raves genutzt wurde.
„Wir haben ständig Räume ausgelotet“, erinnert sich Lange an eine Zeit, die bei der jüngeren Generation der Berliner Kulturszene stets eine gewisse Wehmut darüber auslöst, sie knapp verpasst zu haben. Zuvor bezog er bereits mit der Zwischennutzungsreihe Standard International in das ehemalige Hauptpostamt in Schöneberg, ließ Künstler verschiedenster Couleur Räume gestalten und setzte diese in Dialog mit verschiedensten Skulpturen. Im GLINT interveniert er zum zweiten Mal, kurz zuvor wurden das Erdgeschoss und die oberste Etage des Gebäudes bereits von den pink-blauen Neoninstallationen des Künstlers Moritz Wermelskirch erleuchtet.
In „Spatial Clearings“ befasst sich Lange nun erneut mit den Wirkungsweisen von Licht und hat sich dafür 25 KünstlerInnen ins Haus geholt. Von Studierenden der visuellen Kommunikation bis zu älteren Künstlern sind die verschiedensten Biografien vertreten. Lange schaut bei der Suche über den Tellerrand der traditionellen Institutionen hinaus, nicht etwa aufgrund einer generellen Ablehnungshaltung, sondern aufgrund der Überzeugung, dass es dort noch viel mehr zu sehen gibt. Er erklärt das mit solch wunderbaren Sätzen wie „Kunst ist per se meistens sehr gut“ und betont, dass er bei einer Diskrepanz zwischen männlichen und weiblichen Künstlern auf seiner Auswahlliste eben so lange weiterrecherchiert, bis genau so viele talentierte Frauen wie Männer dabei sind. Das alles klingt so wunderbar, dass man beim Erklimmen der Treppe in den ersten Stock inständig hofft, die gezeigte Kunst möge es auch sein.
Dialog mit Laterne
Den Anfang macht der Lichtdesigner Fred Rubin mit einer modularen Messinglampe, deren alchemistisches Licht den Raum in ein goldenes Licht taucht. Einen Raum weiter hat Max Sudhues zwei Overheadprojektoren auseinandergebaut und die Silhouetten der einzelnen Farbfilter, Kabel und Metallelemente mithilfe zweier weiterer Projektoren an die Wände reflektiert. Fred Rubin, der bereits die opulenten Deckenleuchten des häufig mit „Erichs Lampenladen“ umschriebenen Palasts der Republik in seine Arbeit einfließen ließ, zeigt mit RSL-1-PR.OST eine Ostberliner Hommage an Kippenbergers Laternenskulpturen, die mit der abblätternden Blümchentapete des Hausflurs in Dialog tritt. Einige Räume hat Lange für die Ausstellung neu gestrichen, bei anderen konnte er es nicht übers Herz bringen. So tritt Beate Terfloths wacklig gezeichneter Neonkreis in Dialog mit einem akkuraten Quadrat an der Wand, dem das Überstreichen erspart blieb und unter dessen organischen braunen Flecken Zeitungsausschnitte in Frakturschrift hervorschimmern.
Einige der Künstler entdeckte der Kurator bereits im goldenen Zeitalter der neunziger Jahre. Moritz Wermelskirch, der mithilfe von drei brummenden und ratternden Projektoren und rotierenden Farbflächen aus geschmolzenem Plastik organische Formen an die Wände projiziert, war früher für die visuelle Untermalung jener sagenumwobenen Techno-Raves verantwortlich, und Gerhard Mantz, dessen Skulptur Monokrotis sich mit dem Reflexionspotenzial von Farbflächen auseinandersetzt, war in einer der ersten Ausstellungen vertreten, die Lange in Berlin sah.
Mal wird Licht hier als bildhauerisches Element verstanden, mal als Untersuchungsgegenstand, dem sich die Künstler von einem experimentellen Standpunkt aus nähern. So erforscht Anne Gathmann anhand mehrerer von einem Eisenständer gehaltener Glasplatten die Fallweisen eines Overheadprojektorlichts, und Kerstin Ergenziger hat, ebenfalls mithilfe eines Overheadprojektors, einen Raumtaster entwickelt, der mithilfe eines Mikrochips und vier Rollen besprühter und bemalter Folie ortsspezifische Lichtzeichnungen in den Raum wirft.
Am Ende der Ausstellung steht schließlich das großformatige, farbenfrohere Gegenmodell zu Ergenzigers Erfindung. Phillip Gleist hat das GLINT mithilfe der Videomapping-Methode, mit der er bereits den Kölner Dom und die Christo-Statue von Rio de Janeiro anstrahlte, mit ortsspezifischen Animationen bestückt.
„Herrje, ich mit meinem konservativen Ansatz“, dachte sich Lange, als er sich das erste Mal mit der modernen Technologie hinter Gleists Arbeiten konfrontiert sah. Dabei ist es gerade dieser Ansatz, der „Spatial Clearings“ zu einer bemerkenswerten Ausstellung macht. Ohne viel Effekthascherei werden hier die basalen Eigenheiten und Wirkungsweisen von Licht Raum eingeräumt, mit denen man sich im laut und kompliziert aufblinkenden Alltag der heutigen Zeit kaum noch befasst.
Und ganz nebenbei entsteht dabei ein Stück Berlin, das es so kaum mehr anderswo zu finden gibt.
Bis 14. Oktober, Mi.–Sa. 14–18 Uhr, Glinkastraße 17
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