Stimmen und Stimmungen

Im Hamburger Wahlkampf-Endspurt scheint Linkspartei und FDP die Luft auszugehen, die Siegeszuversicht der CDU weicht zunehmender Verunsicherung. Die GAL hingegen glaubt unverdrossen an die eigene Stärke und die SPD wieder an sich selbst

Eine Analysevon Sven-Michael Veit

Sorgenvoll blickt GAL-Landesgeschäftsführerin Ulrike Eggers auf den Detailplan des Gänsemarktes. Bei rund 2.000 Menschen liegt das Fassungsvermögen des Platzes in der City, auf dem heute Mittag Joschka Fischer das letzte Ausrufezeichen im Wahlkampf setzen will. 5.000 und mehr wollten ihn hören in Stuttgart und Frankfurt, und Eggers mag sich gar nicht ausmalen, was passiert, sollte der Ansturm in Hamburg in gleicher Größenordnung ausfallen.

Die Sorgen der Organisationsleiterin geraten ihrer Partei zur Freude. Hamburgs Grüne sehen dem Wahlsonntag in dem Glauben entgegen, alles getan zu haben, was zu tun war. Stabile Prognosen zwischen 14 und 16 Prozent begleiten sie und nähren Hoffnungen. Die Bestätigung des bundesdeutschen Rekordergebnisses von 16,2 Prozent bei der Bundestagswahl 2002 scheint möglich und damit auch erneut zwei Mandate für die GALionsfiguren Krista Sager und Anja Hajduk. Und Stimmen für sie seien definitiv Voten für Rot-Grün und für keine andere Koalition, versichern beide. Wer SPD wähle, riskiere hingegen, letztlich für eine Große Koalition zu stimmen.

Folgerichtig wirbt die GAL massiv um Zweitstimmen, während die SPD voll auf Erststimmen setzt. Sechs Direktmandate in allen sechs Wahlkreisen wie vor drei Jahren ist erklärtes rotes Ziel. Schon 2002 holten die Einzelbewerber deutlich bessere Ergebnisse als die Partei, und das soll sich wiederholen. Auf 34 bis 37 Zweitstimmenprozente wird die SPD in Hamburg taxiert – mit steigender Tendenz zwar, dennoch würde das nur für vier, bestenfalls fünf Mandate reichen. Deshalb lautet auf den letzten Metern die Parole, dem Wahlvolk Stimmensplitting zu empfehlen: Ein Kreuz bei der SPD, das zweite notfalls bei der GAL, und das Optimum von sechs roten und zwei grünen Abgeordneten für Gerhard Schröder wäre erreicht.

Der Aufwind für Rot-Grün sorgt derweil für Verunsicherung bei der CDU, die den Wahlsieg bereits sicher wähnte. Stärkste Partei in Hamburg wollte sie werden und der SPD drei bis vier Direktmandate abjagen – Ziele, die kaum noch erreichbar scheinen. Nach jüngsten Prognosen wird die Union knapp hinter der SPD landen und sich mit vier Listenmandaten bescheiden müssen. Und ihr Wunschpartner FDP dümpelt zwischen fünf und sechs Prozent in der akuten Gefahr, das einzige Mandat zu verlieren, das sie 2002 errang.

Ähnliches muss inzwischen die Linkspartei.PDS befürchten. Mit zehn Prozent startete sie nach den Sommerferien in den Meinungsumfragen, jetzt ist sie auf gleicher Höhe mit den Liberalen hart gelandet. Der Absturz der Anti-Agenda-Protestpartei entspricht fast auf den Prozentpunkt genau dem Aufschwung der Sozialdemokraten. Und nährt die Vermutung, dass etliche von der SPD Enttäuschte sich doch wieder auf das vermeintlich kleinere Übel besinnen, um Schwarz-Gelb zu verhindern.

Diese Schwankungen sind es, die im Endspurt entscheiden werden. Altkanzler Kohl vor drei Wochen im halb leeren CCH, Noch-Nicht-Kanzlerin Merkel am Montag vor 600 Menschen auf dem Gänsemarkt – weniger als drei Tage zuvor bei Lafontaine an selber Stelle –, Noch-Kanzler Schröder am Mittwoch vor der zehnfachen Menge in der überfüllten Messehalle und der Noch-Vizekanzler heute vermutlich im Verkehrschaos auf dem Gänsemarkt – siegen wird, wer Stimmungen zu Stimmen macht.