„Links ist immer noch besser als Merkel“

taz-Serie „Die Souveränen“ (Teil 6): Sivakolunthu Ganeshamoorthy (51) betreibt einen Zeitungsladen in Neukölln. Einem rot-grünen Senat verdankte der gebürtige Tamile einst sein Aufenthaltsrecht. Doch die Bundesregierung hat ihn enttäuscht

„Die Leute schimpfen,dass man den Parteien nicht mehr glauben kann“

VON FELIX LEE

Es hat Zeiten gegeben, da war Sivakolunthu Ganeshamoorthy den Grünen sehr dankbar. Das war Mitte der Achtzigerjahre. Damals lebte er zusammen mit anderen Flüchtlingen in einem Wohnheim in der Moabiter Beusselstraße. Fast jeden Abend gab es Krach, erinnert er sich. Mal waren es die lauten Laster, die an seinem Zimmer vorbeiratterten, mal stritten sich die BewohnerInnen untereinander, häufig waren es die Razzien der Polizei. Hinzu kam bei allen die ständige Angst, abgeschoben zu werden. Dann kam Ende der Achtzigerjahre der rot-grüne Senat und ermöglichte ihm ein Bleiberecht. Seit 1993 besitzt Ganeshamoorthy die deutsche Staatsbürgerschaft.

Die Grünen haben sich verändert, sagt der 51-Jährige heute. Internationalistisch seien sie früher gewesen. Über die Dritte Welt hätten sie geredet, und auf den 1.-Mai-Demonstrationen habe er sie die grüne Fahne schwingen sehen. Seit die Grünen an der Regierung sind, sieht er die Fahnen mit dem Igel nicht mehr.

Wie er hinter den mit Gummizeug, Lutschern, Zeitungen und Panini-Sammelbildern vollgestellten Tresen sitzt, ist sein dunkles Gesicht kaum zu erkennen – wäre da nicht das Funkeln in seinen Augen und das Strahlen seiner weißen Zähne, wenn er mit einem breiten Lächeln seine Kundschaft begrüßt. Seine Stammkunden nennen ihn Ganesh. Sein Zeitungsladen in der Kienitzer Straße in Neukölln befindet sich in einem Kiez, der die Bezeichnung Arbeiterviertel schon lange nicht mehr verdient. Hier sind die Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger und die MigrantInnen ohne Aufenthaltsstatus in der Mehrheit. Zu einem Multikultitreff ist sein Laden geworden – keine Selbstverständlichkeit in einem Kiez, in dem die Türken sich nur unter Türken treffen, die Araber unter ihren Landsleuten und die Deutschen gar keinen Kontakt zu ihren Nachbarn suchen. Letztere fahren lieber drei Stationen mit der U-Bahn, um in den Szenekneipen an der Bergmann- oder Graefestraße auf Gleichgesinnte zu stoßen.

Doch in Ganeshs Zeitungsladen kommen sie alle. Frühmorgens um fünf sind es ältere Menschen mit ihren Hunden, gegen acht kaufen die Erwerbstätigen auf dem Weg zur Arbeit eine Zeitung, zur Mittagszeit stehen die Arbeitslosen vom Job-Center nebenan vor seiner Tür.

Ganesh ist Tamile. Für einen unabhängigen Staat hatte er sich eingesetzt, auf der Insel Sri Lanka, die in den meisten Teilen von den Singalesen beherrscht wird. Keinen nationalistischen Staat, wie ihn heute die Separatistenbewegung Tamil Tigers fordert, sondern einen sozialistischen, in dem Tamilen, Singalesen und Muslime friedlich miteinander leben. Die Tiger bezeichnet er als Rechtsextremisten. Ganesh war 27, als er Sri Lanka verlassen musste und in Deutschland um politisches Asyl bat. Seit 1981 lebt in Berlin. Seine Frau folgte ihm zwei Jahre später.

Viel Platz hat er nicht in dem kleinen Hinterraum seines Ladens. Eine Couch, auf der rechten Seite, ein an die Wand geschraubtes Regal, davor stapeln sich Getränkekisten – mehr passt nicht hinein. Eine Tür führt zur nach Curry duftenden Küche. Durch die zweite gelangt man über den Hinterhof zu einer kleinen Wohnung, wo sich die Schlafräume befinden. Küche und Wohnzimmer sind die Hinterzimmer des Ladens. „Es ist okay hier“, sagt er.

Lange Zeit hat er bei einem Großhandel gearbeitet. Es gab einen Chef, er war sein Diener. Als Ganesh das Geld zusammenhatte, kaufte er den Laden und zog mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen nach Neukölln.

Klar, sagt er, hier gebe es viel Armut und viele Alkoholiker. Man kann nicht den ganzen Tag vor dem Fernseher oder dem Computer sitzen, sagt Ganesh: „Die Menschen brauchen Kontakt.“ Bei ihm finden sie ihn. Manche allerdings sind auch aggressiv. Vor allem gegenüber Schwarzen. Dann versucht er mit ihnen zu reden. „Unser Stammvater ist Afrikaner“, sagt er dann. „Wir sollten unseren Stammvater nicht schlagen.“

Seit er wählen darf, tut er dies auch. Ende der 90er hätten alle Tamilen die Grünen oder die SPD gewählt, sagt er. „Ich kannte niemanden, der CDU oder FDP wählt.“ Bei diesen Wahlen ist alles anders. Die Menschen sind enttäuscht, sagt er. Auch in der tamilischen Community. Ganesh wird sein Kreuz bei der Linkspartei machen. „Das ist immer noch besser als Merkel.“

Auch Ganesh ist von Hartz IV betroffen – indirekt. Früher kamen seine Kunden und haben Schachteln gekauft, jetzt kaufen sie die Zigaretten nur noch einzeln. Jeden Morgen nimmt er sich mindestens zwei Stunden Zeit und liest die Zeitungen, die er verkauft. Bild, Neues Deutschland, die Zeit. „Ich bin auch ein Mensch und sauer auf Rot-Grün“, sagt er und zeigt Verständnis für die Ängste der Menschen, ihre hohen Gasrechnungen nicht mehr bezahlen zu können.

Vor zwei Jahren sei das noch anders gewesen. Da hätte sich kaum jemand für Politik interessiert. Jetzt schimpfen die Leute, dass man den Parteien nicht mehr glauben kann. „Solche Töne erschrecken mich“, sagt er. Wenn er die Menschen klagen hört, stimmt ihn das traurig. Dann muss er an Sri Lanka denken. Dort sind die Menschen schon lange arm.