Beschwörung des Roten Sterns

Die „Legende vom Manifest der Kommunistischen Partei“ ist auf Theatertour und steckt doch fest im Text

Da schlägt die Werktreue das Werk, da dominiert die Monotonie des Chorischen und die Sperrigkeit der Worte

Es gibt Texte, die kaum noch einer liest, aber jeder im Anfang und im Ende zitieren kann. Das „Manifest der Kommunistischen Partei“ von Marx und Engels ist so ein Schlüsseltext der Moderne, den man gern auch unberührt im Haus hat, vor allem wenn das Ganze in einer Reclamausgabe so anstandslos ins heimische Ikea-Regal passt. Von da hat es das Berliner Theater des Lachens jetzt hervorgeholt, um endlich seine Bühnentauglichkeit zu testen. Nach der Uraufführung der „Legende vom Manifest der Kommunistischen Partei“ in Wien gab es die Deutschlandpremiere nun beim Grenzenlos Kultur Festival in Mainz – terminlich schön abgestimmt mit Angela Merkels Wahlkampfauftritt in der postproletarischen Rheinmetropole.

Zunächst im Dunkeln tapsen sieben wunderliche Gestalten mit Barockperücken auf die Bühne, orientierungslos, ideologisch unverdorben, bis sie das Licht in eine Ecke treibt und voller Schrecken einen fünfzackigen roten Stern am Boden entdecken lässt. Man spuckt, wedelt, beschwört, wärmt sich die Hände an dem Wunderwerk, bis einer Mut fasst und die Requisite in seinen Privatbesitz überführt.

Bedeutungsschwanger ist dies der Startschuss für die Tour de Force durchs Kommunistische Manifest. Zumeist im Chor spricht man die Sätze und macht dabei das Publikum vertraut mit dem Interpunktionssystem des Textes. In aller Deutlichkeit wird jedes Komma, jeder Punkt vorgetragen. Rhythmischer Sprechgesang entsteht daraus, den die Akteure bis zum Ende durchhalten. Nur ab und an erlaubt man sich Abweichungen. Dann darf das austro-deutsche Ensemble gemeinsam oder einzeln das tun, was es offensichtlich gerne tut: etwa kleine Szenen voller Slapstick oder Puppenspiel mit Menschen vorzuführen. Da wird die Entdeckung des „Prolls“ gefeiert, der seine Rolle als neuer Messias noch nicht versteht, doch biergestärkt einsieht: „Klassenkampf ist geil!“ Oder man lässt eine Mitspielerin im Stil der französischen Antiarbeitsphilosophin Corinne Maier vom Lob der Faulheit künden. Dazu gibt’s altgedientes Liedgut in neuer Form: Die Internationale erklingt in einer mehrstimmig säuselnden Schulchorversion.

Die meiste Zeit spricht man jedoch tatsächlich den ursprünglichen Text. Mal wienerisch, mal berlinerisch eingefärbt, doch ziemlich ungekürzt. Das Kommunistische Manifest kommt so in einer Wortwörtlichkeit daher, die wenig übrig lässt vom Inhalt. Da schlägt die Werktreue das Werk, denn erschöpft durch die Monotonie des Chorischen und die Sperrigkeit der Worte, hört der Zuschauer bald nur noch Phrasen. Die Grundsatzerklärung des theoretischen Kommunismus widersetzt sich ihrer Aufführung und gewinnt in der Inszenierung von Astrid Griesbach nichts hinzu. Zwar ist man dem Ensemble in den verspielten Auszeiten sehr zugeneigt, allein die Manifest-Deklamation macht wenig Lust auf Revolution. In dieser Form erscheint die Legende erstaunlich unerotisch. Die Struktur trocknet die Ideen. Man gönnt dem Text nun vielleicht doch, dass er in Würde im Regal verstaubt. KRISTIN BECKER

Nächste Termine: Berlin, Probebühne Cuvrystraße, 20.–25. 9., 27. 9.–3. 10.