Abziehbilder von Krisen

ALLES PROBE Das Theater ist kinoverliebt: Armin Petras provoziert mit „Opening Night“ nach John Cassavetes am Maxim Gorki Theater den Vergleich mit dem Filmregisseur

Bei Petras dagegen gibt es alles Hysterische gratis. Nichts am Schreien von Frida oder dem Regisseur Martin (Wilhelm Eilers), am keuchhustenden Röcheln des Darstellers Chris (Oliver Kraushaar) durch Verausgabung ist erarbeitet und verdient

VON EKKEHARD KNÖRER

Auf der Bühne geht heute der Vorhang nicht hoch. Es ist ein etwas schlabbriger, schmuddeliger Samtvorhang, rot in Richtung purpur, und er bedeckt den Boden bis zum vorderen Bühnenrand. Bis fast zuletzt wird der Vorhang dort hängen, der größte Teil des Stücks wird auf dem mit Füßen getretenen Vorhang im Vordergrund spielen – und als Leinwand für gelegentlich eingespielte Videos von Chris Kondek taugt er auch noch.

Der Vorhang und wie er da hängt und liegt: das ist ein Einfall von bestechender formaler Intelligenz, der einzige dieses Abends. Ein genial einfaches Multifunktionsbühnenbild von Olaf Altmann, der zuletzt etwa Michael Thalheimers „Ratten“ in eine bezwingende Klemme gebracht hat (das war in der Kritikerumfrage das Bühnenbild des Jahres 2008).

Der Routine entkommen

Der Vorhang geht nicht hoch, denn „Opening Night“ ist, anders, als der Titel suggeriert, kein oder fast kein Stück über eine Premierenvorstellung, sondern über die Proben vor dem Aufgehen des Vorhangs. Auf den Proben gerät ein Ensemble in die Krise, weil sein Star, die alternde Schauspielerin Frida (Friederike Kammer), in die Krise gerät. Sie will keine alternde Frau spielen, sie will nicht auf der Bühne geohrfeigt werden, denn immer nur werden Frauen, sagt sie, auf der Bühne geohrfeigt. Sie streitet und probt den Aufstand, nicht zuletzt weil sie so wieder etwas spürt: Sie kämpft weniger gegen diese Rolle als gegen die Kampflosigkeit ihres in Routine erstarrenden Spiels.

„Opening Night“ ist eine der vielen aktuellen Inszenierungen im Theater, die etwas vom Kino wollen. Meistens wissen sie selbst nicht recht, was und warum – außer natürlich den Glam, das Spektakel, das das Kino dem Theater verspricht. Die von Armin Petras fürs Theater bearbeitete Vorlage von John Cassavetes, entstanden im Jahr 1977, ist für dieses Kinobegehren der Bühne einerseits eine sehr naheliegende Wahl. Denn Cassavetes war immer ein Regisseur, der etwas vom Theater wollte. Er kam vom Theater und dachte von den Darstellern, nicht von der Kamera und der Einstellung her. Ihn interessierten die Probenarbeit mit den Darstellern, das Prozesshafte, das Aufeinandertreffen der Darsteller als Ereignis weit mehr als jedes fertige Bild.

Beziehungsweise sah Cassavetes das fertige Bild nur als Teil eines Bildflusses, in dem sich der Prozess der Entstehung im besten Fall dann aufheben lässt. Die anstrengende, manchmal kaum erträgliche Intensität seiner Filme, in denen man seine Ehefrau/Hauptdarstellerin Gena Rowlands mehr als einmal am Rand des Nervenzusammenbruchs sieht, war stets eine hart erarbeitete Sache. Die Hysterisierung der Schauspielerin Myrtle Gordon, das nervenaufreibende Sichaufschaukeln der Proben in Richtung Katastrophe, all das erlebt und macht man als Filmzuschauer mit. „Opening Night“ war der Film, der den ganzen nervenaufreibenden Cassavetes-Prozess dann tatsächlich einmal auf die Bühne, ins Theater verlegte, als Spiel mit dem Spiel, in dem Rolle und Leben sich vermischen, als existenziell-hysterisches Drama des Widerstands gegen Erstarrung, Altern und Tod.

Bei Petras dagegen gibt es alles Hysterische gratis. Nichts am Schreien von Frida oder dem Regisseur Martin (Wilhelm Eilers), am keuchhustenden Röcheln des Darstellers Chris (Oliver Kraushaar) ist durch Verausgabung erarbeitet und verdient. All das kommt, wie man es sieht, aus eher heiterem Himmel, als Einfall ohne tieferen Sinn und präzisen Bezug. Und sobald man darüber nachdenkt, wird auch klar, dass „Opening Night“ (und überhaupt alles von Cassavetes) eben seiner Prozesshaftigkeit wegen als Vorlage für ein Bühnenstück im Grunde nicht taugt. Jedenfalls im Rahmen eines Theaters, wie Armin Petras es versteht.

Beim Kapitalismushysteriker René Pollesch, der sich dieses Films auch schon annahm, sieht die Sache anders aus. Seine postdramatisch-diarrhologischen Widerstands-, Schrei- und Energieopern stehen Cassavetes auf ihre ganz andere Art durchaus nahe, und auch sie liefern mehr Prozess denn fertige Bilder.

Petras dagegen verfährt im Wesentlichen rein inhaltistisch. Er nimmt die zentralen Themen – das Altern, die problematisch werdende Darstellerin/Rollen-Identität – und treibt ihnen alles Subtile, Ambivalente, in sich Widersprüchliche aus. Und schlimmer und grundsätzlicher noch: Statt des Prozesses gibt es von Cassavetes so dreist wie umstandslos entwendete Abziehbilder: von Krisen, Auseinandersetzungen, Verzweiflungen und existenziellen Konflikten. Dass dann noch Videofilme übers Altern, Momente aus „King Lear“ (Assoziation: Alter!), ein platter Politbarde und Velvet Underground bzw. Lou Reed bzw. Nico (Assoziation durchweg: unklar) mit hineinpüriert werden, fügt dem nichts hinzu. Es gibt der Inszenierung vielmehr den Rest.

■ „Opening Night“ wieder am 25. November im Gorki Theater