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Ohne Fleiß kein Preis?

PÄDAGOGIK Kein wolkiges Kompetenz-Blabla, sondern klar definierte Lern­inhalte fordert Richard Rother und löst die größte Debatte der Woche aus

Für viele nicht so easy: der Schulalltag Foto: getty images

Planlose Pädagogik

betr.: „Üben, üben, üben“, taz vom 5. 9. 17

Lieber Herr Rother, der Kommentar hätte genauso in der FAZ oder der Welt erscheinen können. Das ändert nichts an seiner Richtigkeit. Seit Jahren ärgere ich mich als Vater von zwei G8-Schülern über planlose Kuschelpädagogik, verplemperte Schulstunden und den allseits beklagten Stress, dem unsere Schüler vermeintlich ausgesetzt sind. Es fehlt unseren Schulen einfach an einer klaren Unterrichtsstruktur, definierten Leistungszielen und einem einheitlichen Bildungskanon, an dem sich Schüler, Lehrer und Eltern orientieren können. Zu viele organisatorische Experimente, zu viele exotische Inhalte, zu wenig geforderte (bundeseinheitliche) Wissensstandards.

JAN HENNING, Hamburg

Zugewandt lehren

betr.: „Üben, üben, üben“, taz vom 5. 9. 17

Der Redakteur (Leiter einer Schul-Schach-AG) fordert vom Staat „endlich stärkere Leistungsvorgaben“ für die Schulen. Für ihn als Vater zweier schulpflichtiger Kinder sind klar definierte Lerninhalte, zentrale Klassenarbeiten und weniger „Mündliches“ die Lösung für den Schul-, Bildungs- und Berufserfolg.

Dass Präsentationen „ohnehin meist von Eltern vorbereitet werden“, mag auf ihn individuell zutreffen – mit Sicherheit aber nicht auf den Förderschulbereich oder die Hauptschulzweige an Gesamtschulen. Die Eltern dort können das Wort „Präsentation“ weder richtig buchstabieren noch haben sie nach fünf Nachtschichten am Flughafen den Nerv dafür. Wenn einer ihrer Sprösslinge im 9. Schuljahr ernsthaft zur Lehrerin sagt: „Sie wissen doch, dass ich kein (!) Stift habe“, dann stellt auch die bevorstehende Zentrale Abschlussprüfung keinen großen Anreiz zum Schreiben und Üben dar.

Ein Notendurchschnitt von 4.2 ist für die SchülerInnen selbst zunächst überhaupt kein Problem. Denn für die allermeisten von ihnen ist das Hauptmotiv für einen relativ regelmäßigen Schulbesuch: die Kumpels treffen („Ey, Alder, was geht?“); Gemeinschaft spüren, im Kontakt mit anderen sich selbst spüren (dich, Kevin, dich, Merve!). Familienersatz.

„Zeitverschwendung“ ist das nicht, sich in 2 bis 3 Wochenstunden Englisch höchst bedürftigen anderen Menschen zuzuwenden – trotz sogenannter sozialer Netzwerke leben sie absolut isoliert in ihren kleinen Wohnungen, kommen hungrig zur Schule und sind oft depressions- und suchtanfällig –, sondern die Bedingung für eine zugewandte wertschätzende Lernatmosphäre, für erfolgreiches Lernen. Und dies kann nur in kleinen Klassen von maximal 15 SchülerInnen gelingen!

Warum fordert Herr Rother vom Staat nicht konkret die Schaffung von 10 SchulsozialarbeiterInnenstellen pro Gesamtschule à 1.000 SchülerInnen? Dies kostet natürlich Geld, aber dafür könnte man vielleicht die eine oder andere Hochbegabtenförderung de luxe streichen. Oder den Schachclub ins Jugendzentrum verlegen. Das ist multikulti, und pädagogisch wertvoller als so mancher Schulversteher wahrhaben will.

SUSANNE NOWAK,

Frankfurt am Main

Solide Bildung

betr.: „Üben, üben, üben“, taz vom 5. 9. 17

Sehr geehrter Herr Rother, herzlichen Dank für den Artikel! Ich hätte nicht gedacht, in der taz einmal so etwas zu lesen. Ich kann nur in allen Punkten zustimmen. Sie benennen ganz konkret, was alles nicht stimmt – keine Zeit zum Üben, der sinnlose Baby-Englischunterricht, die verfrühten Präsentationen und die Missachtung von solider Bildung, welcher Form auch immer.

ANNETTE HORN, Augsburg

Altes Pauken

betr.: „Üben, üben, üben“, taz vom 5. 9. 17

Zurück in die Steinzeit! Weg mit dem Firlefanz moderner Pädagogik, hin zum alten Pauken. In Polen machen sie es gerade vor. Politisch motiviert und ohne die Erkenntnisse aus dem Wissen von Praxis und Forschung. „Klar definierte Lerninhalte und zentrale Klassenarbeiten.“ Die Steuerzahler dürften doch erwarten, dass ihr Geld sinnvoll eingesetzt wird! Tja, wenn das so ist …

Als positives Beispiel bemerkt der Autor, dass in Baden-Württemberg „umgesteuert“ wird. Die von ihm selbst präferierte Evaluation wurde hier gerade ausgesetzt. Die Erkenntnisse aus den letzten Jahren werden ad absurdum geführt und eine neue Strategie wird ausgerufen (die soll allerdings erst in zwei Jahren greifen). Außerdem wird die Gemeinschaftsschule wieder zurückgedreht, G8 und G9 laufen weiterhin, die Inklusion läuft auf Schmalspur. Die Kultusministerin dort (Frau Eisenmann) regiert wieder von „oben“ mit Anweisungen.

Der Autor weist auf die Stundentafel hin, die in seinem Falle die Fächer Deutsch und Mathematik unterrepräsentieren. Ihm ist da entgangen, dass gerade in moderneren Unterrichtskonzepten diese starre Einteilung aufgehoben ist. Sowohl Deutsch als auch Mathematik finden Anwendung in vielen anderen Bereichen (fächerverbindendes Lernen, Selbstständigkeit, Individualisierung, ganzheitliche Bildung und Erziehung). Übrigens, bei der Vergabe des Deutschen Schulpreises werden Schulen ausgezeichnet, die Vorbild für die Schulentwicklung sind. Bei allen diesen prämierten Schulen sind auch die Schulleistungen überdurchschnittlich. Die Konzepte dieser Schulen weichen in vielen Dingen von den Vorstellungen des Autors ab. Das Durcheinander im deutschen Schulbetrieb hat viele Ursachen. Es verhindert die systematische und erkenntnisorientierte Auseinandersetzung für eine Weiterentwicklung von Konzepten, die den geänderten gesellschaftlichen Bedingungen Rechnung tragen. Das politische Umsteuern nach Wahlen hat verheerende Folgen für den Schulbetrieb. Was heute gut ist, wird morgen zum Unsinn erklärt. Die Bundesländer schaffen es nicht einmal die Anforderungen für die Ableistung des Abiturs anzugleichen. Die Binsenwahrheit „üben, üben, üben“, hat seit jeher oberste Priorität im Schulbetrieb. Nur, das allein hilft auch nicht weiter. WOLFGANG RAUCH, Kronau

Outputsteuerung

betr.: „Üben, üben, üben“, taz vom 5. 9. 17

Es ist unstrittig zu konstatieren, dass allein durch „stärkere Leistungsvorgaben“ kein besseres Bildungsland zu machen ist: Vom Wiegen wird die Sau nicht fett. Auch die pauschale Abwertung von Kompetenzorientierung und eine Rückbesinnung auf Lerninhalte zeugt schlicht von einer oberflächlichen Auseinandersetzung mit der methodisch-didaktischen Fachdebatte. Mit Herrn Rothers Vorschlägen würde genau das verstärkt, was das deutsche Bildungssystem nach Pisa so erschüttert hat: eine markthörige Outputsteuerung.

Unerwähnt bleiben auch die Investitionen in das Bildungssystem, die im Bereich der Primärausbildung im OECD-Mittelfeld zu finden sind. Nur angerissen wird ein so zentrales Thema wie die Lehrerausbildung, der spätestens seit der Hattie-Studie mehr Aufmerksamkeit zugedacht werden müsste. Die Dreigliedrigkeit des Bildungssystems und die damit verbundene Reproduktion von Ungleichheit wird nicht einmal erwähnt, denn: „Lernfortschritte lassen sich auch zwischen Brennpunktschulen vergleichen.“ Wer auf einem solch hohen Ross sitzt sollte zunächst einmal seiner journalistischen Pflicht nachkommen: Lesen, lesen, lesen. J. S., Frankfurt am Main