Spätes Einlenken

NACH DEM STURM Mit der Absage des Marathons muss sich New York City eingestehen, dass es für die Stadt doch nicht so einfach wird, nach Hurrikan „Sandy“ zur Normalität zurückzukehren

„Es geht nicht ums Laufen. Es geht darum, der Stadt zu helfen“

MARY WITTENBERG, CHEFIN VON NEW YORK ROAD RUNNERS UND OBERSTE MARATHON-ORGANISATORIN

VON THOMAS WINKLER

Die Absage kam spät, aber sie kam. Am Freitag schließlich rangen sich die Verantwortlichen durch, den für Sonntag geplanten New-York-City-Marathon doch noch abzublasen. Tausende von Läufern, die bereits in der vom Hurrikan „Sandy“ gezeichnete Stadt angekommen waren, mussten unverrichteter Dinge wieder abreisen. Viele liefen gestern trotzdem spontan die Originalstrecke durch die fünf New Yorker Bezirke ab, andere improvisierten eine Route durch die Straßen der Metropole.

Bürgermeister Michael R. Bloomberg blieb eine Erklärung schuldig, warum er so lange wartete, um weniger als 48 Stunden vor dem Start ein Ereignis abzusagen, das angesichts der Sturmschäden, von der sich der Großraum New York nur langsam erholt, drohte zur Farce zu werden. „Ich wünschte, dass wir keinen Hurrikan gehabt hätten und dass wir ein tolles Rennen hätten sehen können“, lavierte Bloomberg und enthüllte, dass viele der Vorräte an Decken und Trinkwasser, die für die Marathonteilnehmer eingeplant waren, längst an Katastrophenopfer ausgegeben worden waren.

Überraschend lange hatten Bloomberg und Mary Wittenberg, die Chefin von New York Road Runners, die den Marathon organisieren, daran festgehalten, dass das Rennen, das seit 1970 jedes Jahr stattgefunden hat, auch 2012 wie vorgesehen über die Bühne gehen sollte. Die beiden stilisierten das Großereignis zum Lackmustest dafür, wie schnell die Region, in der mehr als 20 Millionen Menschen leben, nach dem verheerenden Hurrikan wieder zur Normalität zurückkehren würde. Der Marathon wurde zum Symbol für das Selbstverständnis der New Yorker als auserwählte Bewohner der großartigsten Metropole der Welt. Doch angesichts der Tatsache, dass in vielen Stadtvierteln, vor allem auf Staten Island, immer noch Zehntausende ohne Obdach und viele mehr ohne Strom und Wasser sind, war im Laufe der vergangenen Woche die Kritik an Bloomberg und Wittenberg immer lauter geworden.

Ein Grund, warum die Absage so lange hinausgezögert wurde, mögen die finanziellen Konsequenzen gewesen sein. Denn die wirtschaftlichen Verluste sind nicht zu unterschätzen. Geschätzte 340 Millionen Dollar lassen allein die über 20.000 Läufer, die zum Marathon anreisen, in der Stadt. Doch keine der unzähligen kleinen Läden, Bars und Restaurants, die an der Strecke liegen und während des Marathons so viel Umsatz machen wie das ganze restliche Jahr nicht, dürften in ihrer Existenz von der Absage bedroht sein. Was man allerdings von New York Road Runners nicht unbedingt sagen kann: Der Organisation geht ohne das Rennen ein Gros ihrer Einnahmen verloren. Noch ist nicht geklärt, inwiefern die Non-Profit-Organisation bereits geflossene Gelder an den übertragenden TV-Sender und die Sponsoren zurückzahlen muss. Auch wie mit den Antrittsgagen für die Laufstars verfahren wird, die aus Afrika, Europa oder sogar Australien angereist waren, ist unklar. Wenn Road Runners Glück hat, wird die Versicherung, die eine Absage bei „extremen Wetterbedingungen“ vorsieht, die Kosten übernehmen.

Ebenso ungeklärt ist die Frage, ob die Hobbyläufer ihre Startgebühr, immerhin bis zu 347 Dollar, zurückerhalten werden. Bislang ließ Road Runners nur verlauten, dass alle Läufer automatisch im kommenden Jahr teilnehmen dürfen. Die Startplätze sind begehrt: Ungefähr 140.000 bewerben sich alljährlich, aber nur 60.000 dürfen mitlaufen. Ob sie dann aber erneut die Startgebühr zahlen müssen, ließ Road Runners bislang offen.

Wer gestern trotz der Marathon-Absage nicht auf Spitzensport verzichten wollte, konnte nach New Jersey fahren und Football sehen. In East Rutherford spielten die New York Giants gegen die Pittsburgh Steelers. Und tags zuvor hatten die Brooklyn Nets ihre neue Arena mit einem Sieg gegen die Toronto Raptors eingeweiht. Die eigentlich für den Donnerstag geplante Premiere in der schicken, mehr als 17.000 Zuschauer fassenden Halle war noch abgesagt worden.