Berliner Szenen: Kein Hirn, aber Stil
Der Beinschlecker
In der Hasenschänke tollen zwei Pittbulls zwischen den Tischen. Eine der Mordtölen kommt an meinen und schleckt mir gründlich das nackte Bein ab. Zum Blow Job des Grauens fehlt nicht viel. Ich kann nur vermuten, dass die Mistviecher zu einem jungen Paar am Nebentisch gehören. Die beiden wirken völlig unbeteiligt. Gelangweilt gucken sie dem Kinderfresser beim Verzehr meiner Person zu. Warum glauben diese Irren eigentlich, dass man nichts dagegen haben könnte, von ihrem Schweinehund abgeschlabbert zu werden? Hirn haben sie keins, dafür Stil. Vollbart hier, Vintagekleidchen dort und als elegant kontrastierende Accessoires noch die beiden Fiesmöppe – anscheinend gibt es Luden oder Kleinkriminelle jetzt auch als Retro-Role-Models für Neuköllner Hipster.
„Könnten Sie bitte Ihrem Hund mitteilen, dass er mich nicht ablecken soll. Ich mag das nicht …“, spreche ich das Pack mühsam beherrscht an. Ich sieze sie, um die Distanz zu wahren und nicht auszuflippen. „Sie asoziale Arschlöcher“, klingt nämlich gar nicht, und als Mann des Worts ist mir an einem harmonischen Zusammenspiel von Kontext und Semantik sehr gelegen. Auch möchte ich weder diese Vollidioten reizen noch vor allem das Monster, solange es an meinem Oberschenkel nagt.
Der Typ tut zumindest so, als wäre mein Wunsch nicht komplett aus einer anderen Welt. „Hunde, hört ihr: Ihr dürft den Mann nicht ablecken“, spricht er ernst auf die Köter ein. Die Ironie überhöre ich gern, sofern die Ansprache Früchte trägt. Ich will einfach nicht sterben, mehr will ich gar nicht. Die Frau hingegen hatte schon angesetzt, schnippisch an meinem Anliegen herumzudeuteln. Sie kann sich nicht vorstellen, dass das, was ihr Untier abzieht, manche Leute nicht nur stört, sondern für sie der blanke Horror ist.
Uli Hannemann
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