Jammer und Schrecken in Busbahnhof und Parkhaus

Theater Das Oldenburger Theater „wrede+“ performt den Terror nicht auf, sondern neben der Bühne. Bleibt aber zu vorsichtig

Terror und Theater gehören zusammen. Terror, also eine Politik des Schreckens, bezieht seine Kraft aus der öffentlichen Sichtbarkeit des Grauens, das er produziert: Er greift den Alltag an, das normale Leben. Und sein Ziel ist eine wie auch immer perverse Reinigung der Welt (von sich selbst). Im Theater wiederum setzt die Reinigung laut der Poetik des Aristoteles dadurch ein, dass die ZuschauerInnen durchs Bühnengeschehen in Jammer und Schrecken oder Schauder versetzt werden: Wenn sie da wieder rauskommen, sieht ihre Welt ganz anders aus.

Durchaus nachvollziehbar also, dass sich das Oldenburger Theater „wrede+“ selbst die Aufgabe gestellt hat, gegenwärtigen Terror mit Mitteln der Performing Arts aufzugreifen: Bei der Produktion mit dem hübschen Titel „Terror to Go“ werden die ZuschauerInnen im Foyer als LehrgangsteilnehmerInnen begrüßt: Sie sollen durch ein – fiktives – „Institut für zivile Wachsamkeit“ im Umgang mit der alltäglichen Bedrohung geschult werden.

Dann bekommen sie einen iPod umgehängt und werden rausgeführt aus dem Theaterbau – und rein in den Teil der Stadt, der im Windschatten von Tourismus- und Bummelgeschehen nur eine mäßige Aufenthaltsqualität entfaltet: Übern Busbahnhof ins schrammelige Parkhaus und wieder rein ins nicht einmal besonders heruntergekommene, ins stinknormale Leben. Dort also, wohin der Terror zielt.

Auf dem tragbaren Medienspieler laufen Videosequenzen, die genau dort, wo man sich gerade befindet, aufgezeichnet wurden. Der Effekt ist ein doppelter: Einerseits verschwimmen die Sphären viel mehr als in der Theater-Blackbox und man fühlt sich viel mehr als Zeuge, denn als Zuschauer. Andererseits wird man lenkbar und irritierbar: Konzentriert darauf, denselben Parcours zu absolvieren, auf dem sich auch die Figuren der Szene auf dem Screen befinden, wird man von szenischen Interventionen im wahren Leben stärker überrascht und aufgeschreckt. „Theater als gesellschaftsbezogene Auseinandersetzung muss ausloten und reflektieren, wie sich unsere Kommunikation, unsere Wahrnehmung verändert“, so hat Theatergründer Winfried Wrede mal seinen künstlerischen Anspruch formuliert. Seine Off-Bühne nennt er deshalb Forschungs- und Produktionstheater.

Allerdings verlässt sich die Produktion dann doch zu wenig auf verfügbare Originale, um zu erschüttern. Und sie rekurriert zu sehr auf gängige Klischees, um als Forschung zu überzeugen: Ärgerlich ist der Schluss, bei dem die ZuschauerInnen in einen Supermarkt geführt werden – dessen Belegschaft gerade schließen will und, das ist einigermaßen anarchisch, offenbar nichts vom Theaterprojekt weiß: Dort gibt es dann eine vulgärkapitalismuskritische Gute-Nacht-Geschichte auf die Ohren, die versucht, die Schuld am Terrorismus bei Nestlé zu finden.

Klar ist Nestlé böse und an allem irgendwie schuld. Aber es gibt keine Hinweise darauf, dass Dennis Cuspert besonders darunter gelitten hätte, dass der Konzern in Dürrezonen das Trinkwasser abschöpft. Oder dass Anis Amri, die Blüte der französischen und belgischen Banlieues und die Söhne der Verwerfungszonen von Bremen und Hamburg durch Nestlé getrieben würden, mit Lastern in die Menschenmenge zu fahren, auf Konzertbesucher zu schießen oder sich in Syrien dem Kampf des Daesch anzuschließen.

Aber auch zuvor wirkt es, als sei man vor der Härte der sprechenden, echten Dokumente zurückgeschreckt: Statt die Audio-Botschaft des offenbar von seinen Daesch-Kumpanen ermordeten Hamburger Florence, statt der irrwitzigen Chat-Protokolle der Terrorzelle von Essen montiert Wrede lieber selbst einen Monolog eines Vaters, der sich darüber belügt, dass sein Sohn nach Syrien gezogen ist, zu den Truppen des Daesch. Das ist ein gut gebautes Stück Prosa. Die Wirklichkeit holt das aber weder im Schrecken noch in der Komik ein.

Benno Schirrmeister

■ Nächste Aufführungen „Terror to go“, 26. 8. 17, 17 Uhr, und 31. 8. 17, 19.30 Uhr, Theater „wrede+“, Oldenburg