Auf Eleganz ist geschissen
: Der Messer-Mann vom Alex

Liebling der Massen

von Uli Hannemann

Gewöhnlich meide ich den Alexanderplatz. Der anspruchsvolle Spurenverlauf überfordert viele Verkehrsteilnehmer derart, dass das Befahren selbst für normalbegabte Autofahrer zum unberechenbaren Wagnis wird. Aber heute bin ich zum ersten Mal seit Langem wieder auf dem Alex unterwegs. Zum Glück, denn sonst hätte ich den letzten Schrei unter den Ampelclowns verpasst: den Messerjongleur.

Für diejenigen, die oft hier fahren, ist sein Anblick sicher ein alter Hut. Doch für jemanden wie mich, der bloß die klassischen Acts wie Scheibenputzer, Keulen-Jongleure und Feuerschlucker kennt, ist der Messertyp eine echte Sensation.

Kaum wird es rot, huscht der Bettelkünstler mit drei gewaltigen Messern – Klingenlänge so um die dreißig Zentimeter – auf die Fahrbahn, schmeißt sie abwechselnd in die Luft und fängt sie dann am Griff wieder auf. Er zeigt das entrückte Lächeln des Erleuchteten, dem körperliche Verwundungen nichts anderes sind als bedeutungslose Kerben in toter Materie. Doch so leicht lasse ich mich nicht täuschen: Vielleicht ist der Mann ja ein Betrüger und das Besteck vollkommen stumpf. Damit wäre das doch überhaupt kein Kunststück mehr. Ich finde, Artistik muss grundsätzlich mit ex­tremer Verletzungsgefahr verbunden sein. Geschick ist nicht wichtig, Begabung ist mir egal, auf Eleganz ist geschissen, aber Risiko muss unbedingt sein. Daher würde ich mir die Messer gern mal vorführen lassen, das könnte meine Geberlaune nämlich entscheidend pushen.

Weil, darum geht es doch, oder? Ein bisschen Spannung in unsere langweiligen Autofahrerleben zu zaubern, gerade da, wo sie am langweiligsten sind: beim Warten an roten Ampeln. Wenn ich weiß, dass die Klingen rasiermesserscharf sind, ist mir das durchaus einen Groschen wert. Doch ehe hier einer mit Attrappen rumdaddelt, sollte er besser die Motz verkaufen.

Was ich ja ganz besonders cool fände, wäre ein Artist, der sich vor den wartenden Autos mit Benzin übergießt und anzündet. Für die Nummer würde ich glatt zwei Euro springen lassen. Das würde mich schon nicht arm machen, das passiert ja sicher nicht so oft. Ich wäre gespannt, ob der entsprechende Künstler die Nerven behielte, eine angedeutete Verbeugung zu machen, „vielen Dank der Herr“ zu sagen, und „schönen Tag noch“. Vielleicht sogar noch so ein Herzchen auf die Windschutzscheibe zu malen, ähnlich wie die Fensterputzer, nur eben mit dem brennenden Arm und aus Feuer statt aus Schaum und mit dem Wischgummi. Oder ob sie unter gellendem Geschrei unkontrolliert zwischen den Autos herumrennen würden, obwohl die Ampel schon längst wieder Grün zeigt, und dabei auch noch die reichlich sauer verdiente Münze verlören, bis sie am Ende nur so schwarz in sich zusammenkrumpelten. Danke Merkel, für nichts.

Hier vor uns auf dem Alex wird es langsam unheimlich. Der Mann hat seine Show beendet und nähert sich mit drei blitzenden Messern in den Händen falsch lächelnd den Autos. „Sofort das Fenster hoch“, zische ich meine Beifahrerin an und betätige die Zentralverriegelung. Man muss wissen, wann der Spaß vorbei ist. Garantiert ist er gar kein Gaukler, sondern Räuber. Wozu bräuchte er sonst die Messer? Das sogenannte Kunststück war bloß Ablenkung. Wie damals, als diese angeblichen Lyriker von der, wie sie sagten, „kleinen Marienfelder Lesebühne“ Zacharias Zauberstift in den Rotphasen am Platz der Luftbrücke ihre Gedichte vortrugen, während zwei von ihnen unbemerkt die Nummernschilder abschraubten. Das soll mir nicht noch mal passieren.