Bis zum Filter

Ein freundlicher Michel Houellebecq las im Kino Babylon aus seinem aktuellen Roman – extrem nur als Raucher

Die Geschichten sind Legion, die davon handeln, dass der französische Schriftsteller Michel Houellebecq in realiter ein Ritter der eher traurigen Gestalt ist. Ausgepumpt sei er, wissen die Menschen zu erzählen, die ihm schon begegnet sind, nicht immer höflich und zugewandt, selten ganz nüchtern, eine leere Hülle irgendwie, ein Schriftsteller, dem man es körperlich ansehe, was er für Romane schreibe.

Bestätigen ließen sich solche Eindrücke nicht, als Houellebecq am Freitagabend im restlos ausverkauften Kino Babylon in Mitte mit dem Schauspieler Martin Wuttke aus seinem neuen Roman „Die Möglichkeit einer Insel“ las. Wach und freundlich wirkte er, wie er da im schlichten dunkelblauen Hemd und heller Hose auf der Bühne kauerte, immer auf der Höhe auch der Passagen, die Wuttke aus der deutschen Übersetzung vortrug, zuweilen den begeisterten Wuttke sanft daran erinnernd, nun selbst wieder einmal mit Lesen dran zu sein.

Das tat Houellebecq bekannt gedämpft und verstockt, und da er nicht in die Verlegenheit kam, im Anschluss an die über anderthalb Stunden dauernde Lesung Rede und Antwort stehen zu müssen, machte er insgesamt einen nicht unsympathischen Eindruck. Der weitere Erkenntnisgewinn aber hielt sich eher in Grenzen – bei Leseauftritten only die Norm. Immerhin wurde deutlich, dass „Die Möglichkeit einer Insel“ sich gut für lange Lesungen eignet: Das Leben des Berufskomikers und Berufszynisten Daniel 1 ist ein bunt-bewegtes, seine Ansichten über Kinder („lüsterne Zwerge mit angeborener Grausamkeit“) oder die erfolgreiche Verbindung „von Pornografie und extremer Gewalt“ sind mark- und zwerchfellerschütternd. Lacher gab es zuhauf, bei Wuttke und selbst Houellebecq genauso wie im Publikum, etwa bei der Erwähnung eines Filmtitels wie „Die Swinger der Autobahn“ oder der Beschreibung einer Filmszene mit unentwegt explodierenden Babyköpfen. Nun ja.

Konzentrationsabträglicher ging es dagegen in den Passagen zu, in denen der Daniel-25-Klon nach und nach bemerkt, dass es selbst die Möglichkeit einer Insel nicht mehr gibt. Doch hielt man sich da eben schadlos daran, zu beobachten, wie Michel Houellebecq seine Zigaretten rauchte: Zwischen Mittel- und Ringfinger gehalten, führte er sie typischerweise immer in den äußersten rechten Mundwinkel, um sie bis zum Filter herunterzurauchen. Das hatte seine eigene Größe, allein dafür lohnte der Besuch. GERRIT BARTELS